Rechtes Restrisiko genehmigt

■ Verbot des Neonazi-Aufmarsches heute in Tostedt wird vorerst aufgehoben

Mit „Fahnen der Bundesrepublik Deutschland und der Jungen Nationaldemokraten“ (JN) werden heute möglicherweise Neonazis in Tostedt marschieren. Das Verwaltungsgericht Lüneburg hob gestern Mittag ein anderslautendes Verbot auf. Dieses hatte der Landkeis Harburg mit dem Hinweis auf ein „nicht hinnehmbares Ausmaß an Gewalt“ begründet. Richter Dieter Bodes sah das anders. Eine „bloße Gewaltvermutung“ reiche nicht für ein Verbot, meinte er und erlaubte die Versammlung unter Auflagen, die das „verbliebende ,Restrisiko' einer Eskalation mindern oder sogar vermeiden“ sollen.

Neben dem Mitführen von Trommeln ist den Teilnehmern untersagt, Uniformteile oder Springerstiefel zu tragen. Außerdem dürfen keine „antijüdischen oder ausländerfeindlichen Sprechchöre“ ertönen, und es darf sich nicht im „Marschtakt“ fortbewegt werden. Gegen 15 Uhr wollen die Neonazis unter dem Motto „Rechter Rock statt rote Socken!“ auf dem Tostedter Marktplatz aufmarschieren.

„Es ist ein Fifty-Fifty-Urteil, das wir so nicht hinnehmen“ kommentiert Axel Gedaschko von der Kreisverwaltung Winsen/Luhe die Aufhebung des Verbotes. Über die Beschwerde des Landkreises wollte gestern Abend noch das Oberverwaltungsgericht Lüneburg entscheiden. Der Anmelder der Demo, der niedersächsische JN-Vorsitzende Danny Marquardt, kündigte an, notfalls bis vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen. Die örtliche Polizei erklärte: „Wir sind auf jede juristische Rechtslage vorbereitet.“

Anlass des Marsches ist die Auflösung eines Rechtsrockonzertes am 22. Juli in Holvede (Kreis Harburg). Veranstalter war dort die Sektion Weser Ems des Netzwerkes „Blood & Honour (B&H)“ (Blut & Ehre). Zur Demo heute ruft neben der JN auch das Aktionsbündnis Nordeutschland um die Hamburger Thomas Wulff und Christian Worch auf, das B&H Nordmark um den Tostedter Sascha Bothe unterstützt die Mobilisierung. Die Anmeldung hat aber die JN übernommen, damit B&H und das Aktionsbüro deren rechtlichen Status als Jugendorganisation der NPD nutzen können.

Weiter ruft die „Freie Nationale Jugend Celle“ ihre „Kameraden“ via Internet auf, in Tostedt für „ihre Musik“ einzutreten. Seit Anfang 2000 hat die Organisation den „Kampf fürs Vaterland“ im Netz aufgenommen. Über ihre Homepage, die der Celler Neonazi Klaus Hellmund betreibt, informiert sie über Aktionen und Konzerte des „nationalen Widerstands“ und outet Journalisten als „Antifas“. Für den heutigen Aufmarsch ermahnt Hellmund, der wegen Körperverletzung verurteilt ist, keine NS-Symbole zu tragen und keine gewaltverherrlichenden Parolen zu rufen. Aus dem Umfeld der Celler Nazis wurden bereits mehrfach Gewalttaten begangen. 1999 erschlugen die beiden Skinheads Marco Siedbürger und Johannes Markus Kneifel einen „Althippie“ in seiner Wohnung. Sie wurden im Januar 2000 wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu fünf Jahren Haft verurteilt. Andreas Speit