: Die Wortvernichtung
■ Schweigen Sie lieber etwas mehr. Denn wenn Sie zu viel reden, kommt Alexej Schipenko und verwurstet Sie in einem seiner Dramen. Sein neues Stück probt der Autor und Regisseur gerade mit dem Jungen Theater
Es ist laut im Parkhaus am Brill. Doch das stört Alexej Schipenko nicht im geringsten. In aller Ruhe probt der Autor und Regisseur hier mit seinen DarstellerInnen, den SchauspielerInnen vom Jungen Theater, die Uraufführung seines neuen Stückes „The Race“. Aber das Stück ist ja auch kein Sprechtheater, und sowiso hält Schipenko nicht besonders viel von Dialogen – jedenfalls in seinem momentanen Entwicklungsstand als Dramatiker. „Worte sind heute doch so gelogen“, sagt er und lehnt sich seufzend in seinem Plastikstuhl zurück. Zum Beispiel in einer Bar: Da reden die Leute drei Stunden lang blödes Zeug und „vernichten den Sinn des Wortes schon beim Mund aufmachen“. Sein Stück lebe durch Atmosphäre, durch Musik (von Klassik bis Pop), Geräusche und Bewegung. „Die Dialoge sind nicht so bedeutend, dass der Zuschauer jedes Wort mitbekommen muss“, ist sein Fazit.
In „The Race“ (zu Deutsch „Das Rennen“) geht es um die Reise ins Metaphysische, in das eigene Ich, hin zum Mysteriösen und zur Erleuchtung – auf der eigenen Fährte. Diesen tiefsinnige Hintergrund packte der Autor in eine phantasievolle Geschichte: In Dingistan, einem fiktiven Staat im Osten („Irgendwo zwischen Jugoslawien und China“) veranstaltet der tyrannische Herrscher ein Wohltätigkeitsrennen für Profis, Promis und Adelige aus dem Westen. 24 Stunden zu spät („Dingistan ist dem Rest der Welt einen Tag voraus“) erreichen auch Sören aus Norwegen, Sissi aus Österreich und Juan aus Mexiko die Startlinie. Für die drei wird das Rennen zu einer ganz persönlichen Erfahrung, die mit dem Formel-1-Charakter nicht mehr viel zu tun hat: auf der Suche nach Liebe, in der Auseinandersetzung mit der inneren Verzweiflung und dem Kampf mit der eigenen Persönlichkeit.
Mit dem Oststaat Dingistan steckt auch ein Teil von Schipenkos eigener Geschichte in dem Theaterstück. 1992 immigrierte der Russe nach Deutschland. „Und je länger ich hier lebe, desto besser verstehe ich, dass Osten Osten und Westen einfach Westen ist“, erklärt er. So geht es auch den Figuren im Rennen. Erst in der anderen Welt, in diesem anderen Leben beginnen sie, über das eigene Leben nachzudenken. „Natürlich hätte ich mir dafür auch einen Staat auf einem anderen Stern, mit Aliens und so, ausdenken können. Aber der Bezug zur Realität sollte schon da sein“, sagt der Regisseur und lacht.
Die Hälfte des Parkhausdecks im sechsten Stock ist durch Holzwände mit schwarzen Planen abgegrenzt. Ein weißes Plastikzelt, stark an einen spießigen Gartenpavillon erinnernd, steht in der Mitte des Raumes. Drei Motorräder stehen an der Seite, eine Modelleisenbahn zieht ihre Runden um die Stahlstützen. Der ungewöhnliche Inszenierungsort war jedoch in keiner Weise geplant oder das Stück gar darauf ausgelegt. „Ich habe schon oft in kleinen Kellern gearbeitet, jetzt wollte ich mal was größeres“, erklärt Schipenko ganz gelassen. Mehrere Orte hatte er sich angeguckt, das Parkhaus erhielt jedoch den Zuschlag, „weil es so geil ist, dass hier die Motorräder durchfahren können.“
Seit drei Wochen probt das Ensemble jetzt zusammen. Als Schipenko in Bremen ankam, brachte er nur die Idee des Stückes mit, alles weitere sollte sich mit dem Lauf der Zeit entwickeln. So hat der Russe noch nie gearbeitet. „Die Szenen entwickeln sich im Gespräch“, beschreibt Denis Fischer vom Jungen Theater. Dabei gäbe es schon Auseinandersetzungen mit dem Regisseur, der natürlich seine eigenen Vorstellungen habe. „Aber gerade durch durch diese Reibungen entsteht das Stück“, betont Fischer. Das Ganze ist ein Probenprozess, immer offen für neue Entwicklungen. Zur Premiere im September soll es dann schon ein festes Stück geben. Mesut, Gast des Jungen Theaters: „Aber auch dann steckt noch Bewegung drin. Wir sind ja Menschen und keine Roboter.“
Imke Gloyer
Die Premiere von „The Race“ findet am Freitag, 1. September, um 20.30 Uhr statt, bis Freitag, 29. September, ist das Stück dann täglich, außer sonntags und montags, ebenfalls um 20.30 Uhr zu sehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen