: Bedrohung von rechts
Konzertierte Presseaktion gegen die Angst vor den Neonazis
STOCKHOLM taz ■ Ende November letzten Jahres griffen die vier größten schwedischen Zeitungen zu einem beispiellosen Mittel, um auf die Bedrohung durch Neonazismus im Land aufmerksam zu machen. Sie veröffentlichten wortgleich eine fünfseitige Reportagenserie unter dem Signum „Der Rechtsstaat ist in Gefahr“. In einer gemeinsamen Erklärung hieß es: „Angst wird verbreitet, in der Justiz, bei den Zeugen, in der Politik und in den Medien. Es besteht ein großes Risiko, dass die öffentliche Debatte unterdrückt wird.“
Schwedens Rechte galten lange als „Bier trinkende Schwätzer“, so ein Staatsanwalt. Doch in dem halben Jahr vor der konzertierten Presseaktion hatte sich dieses Bild dramatisch geändert. Ende Mai 1999 erschossen Neonazis bei einem Bankraub, der vermutlich der Finanzierung der „Nationalsozialistischen Front“ (NSF) dienen sollte, zwei Polizisten. Die NSF ist die größte schwedische Neonazi-Organisation mit je 100 Mitgliedern in Stockholm und Göteborg und kleineren Gruppen in anderen Städten. Eine Woche später explodierte im Auto eines Stockholmer Jounalisten, der mit seiner Frau in der rechten Szene recherchierte, eine Bombe. Nur durch Zufall kamen er und sein Sohn mit dem Leben davon. Die Familie hatte zuvor wegen massiver Drohungen den Wohnort gewechselt und stand unter Polizeischutz. Am 12. Oktober 1999 wird der Gewerkshafter Björn Söderberg von Kugeln durchsiebt. Gegen die drei mutmaßlichen Mörder, alle Neonazis, läuft derzeit der Prozess. Danach wird eine von Neonazis zusammengestellte „Todesliste“ von Gewerkschaftern gefunden. Bei einem Bombenanschlag wird das „Joe-Hill-Haus“ in der nordschwedischen Stadt Gävle massiv beschädigt. Eine „nationalsozialistische Kampfgruppe“ bekennt sich zu dem Anschlag.
Vor diesem Hintergrund enttarnten die vier Zeitungen die nationalen und internationalen Verflechtungen der schwedischen Rechten. 62 Personen aus dem harten Kern der Szene wurden den Lesern mit Foto, Alter, Wohnort und einer kurzen Beschreibung ihren Aktivitäten und Vorstrafen vorgestellt.
Die Blätter schilderten auch die massiven Einschüchterungsversuche der Rechten gegen Justiz und Polizei. Jeder dritte Staatsanwalt erhalte rechtsradikale Drohungen. Es habe Anschlagsversuche auf Privatwohnungen von Justizangehörigen gegeben. Richter, Staatsanwälte und Polizisten waren gehalten, die Radschrauben ihrer Autos vor jeder Fahrt zu kontrollieren.
Die Enthüllungsartikel erschienen ohne Autorennamen. Der Chefredakteur von Expressen erklärte dies „mit einem konkreten Bedrohungsbild gegen die Kollegen selbst“. rw
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