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„Exit“ für Schwedens Neonazis

Eine Selbsthilfegruppe kümmert sich um Aussteiger aus der rechten Szene. Der Abnabelungsprozess von der „Kameradschaft“ dauert Jahre

aus StockholmREINHARD WOLFF

„Das mit der Nazikiste beginnt ganz langsam. Plötzlich sitzt du mit dem ganzen Paket da. Und willst du das nicht mehr haben, hast du auch die ganze Gemeinschaft nicht mehr.“ Bei Lars war es das Erschrecken über neonazistische Morde, das ihn veranlasste, längst gekappte Kontakte aus der Zeit, bevor er Fascho wurde, vorsichtig wieder zu knüpfen. Nach einem Fernsehbericht über „Exit“ wählte er eine Telefonnummer in Stockholm: 4 62 22 94, die des Ex-Neonazis Kent Lindahl, Verantwortlicher des Projekts „Exit“. Erst traf er sich mit Kent ein paar Mal jede Woche, dann lernte er auch andere kennen, die sich an „Exit“ gewandt hatten. „Das hilft, der gemeinsame Hintergrund, die gemeinsamen Erfahrungen. Das versteht nur, wer selbst auch da durchgegangen ist. Wenn man dabei ist, da herauszukommen, und trifft einen, der sagt, ‚gut, dass du mit diesem Faschoscheiß aufhörst‘, geht man vielleicht wieder zurück. Die Leute denken nur, dass wir dumm, borniert und gewalttätig sind. Aber wir dachten ja, für etwas Gutes zu kämpfen.“

„Exit“ startete 1998 in Schweden, Gruppen gibt es auch in Norwegen, Dänemark und Finnland. Neben der direkten Unterstützung von „Aussteigern“ werden Infos angeboten für Schulen, Sozialarbeiter und Polizei. „Exit“ wird vom Kultusministerium und Sponsoren aus der Wirtschaft finanziert. Die Gruppe will Rückhalt geben, die emotionale Leere derer, die den Absprung suchen, füllen, hilft in praktischen Dingen, wie beim Kontakt mit dem Sozial- und dem Arbeitsamt, bei der Wohnungssuche, der Ausbildung, gegenüber Polizei und Justiz. Hilft, den häufig zerstörten Kontakt zur Familie wieder zu knüpfen.

„Es ist nicht nicht nur Kameradschaft gewesen damals“, wirft Per ein, mit 24 Jahren vier Jahre älter als Lars: „Das Wort reicht nicht aus zu beschreiben, was mir die Gemeinschaft bedeutete. Alles war hundertprozentig. Sie hielten zu dir, fehlte Geld für die Miete, wurde das gecheckt. Ich musste nie ängstlich sein, nicht auf der Straße, nicht in der Kneipe. Und brauchte jemand meine Hilfe, war es selbstverständlich, dass ich auch alles stehen und liegen ließ dafür.“ Am Morgen, als die Polizei an Pers Tür klingelte, wusste er, dass die blinde Kameradschaft eine Illusion gewesen war. Irgendjemand hatte ihn verraten. Sein Bruch war abrupt, der Telefonanruf bei „Exit“ spontan. Das ist ein Jahr her: „Aber ich habe noch nichts Neues gefunden, an das ich glauben kann. Aber das brauche ich.“ Er hat gehasst, misshandelt, Leute überfallen, geklaut. „Da bin ich natürlich nicht stolz drauf.“ Aber er kann auch nicht sagen, dass er sich deswegen schämt. Er ist einer der wenigen bei „Exit“, die bereit sind mit Journalisten zu reden, nichts dagegen haben, wenn ihr Name bekannt wird, ihre braune Vergangenheit: „Das mach ich für mich selber. Ich will alle Brücken zurück zerstören.“

Lars will nicht, dass sein Name, sein Gesicht bekannt wird. Angst vor seinen Exfreunden hat er nicht: „Die wissen, dass ich ausgestiegen bin, die haben mich deswegen aber nie bedroht, ich bin für die einfach ein Schwein, ein Verräter, den man nicht mehr anfasst.“ Was er an „Exit“ schätzt, ist, dass er so viele Sachen nicht erklären muss: „Wenn man anderen sagt, man sei Neonazi gewesen, merkt man zwar, dass die es gut finden, dass man abgesprungen ist. Aber es bleibt ein komisches Gefühl. Man fühlt, dass sie nicht wissen, wie sie reagieren sollen, sie benehmen sich komisch und stellen komische Fragen. Wie bei einem Behinderten.“ Lars wirkte kürzlich in einer Fernsehsendung mit. Nur von hinten fotografiert und mit verstellter Stimme. Berichtete über sich und über „Exit“. Vier Nazis, die abspringen wollten, riefen noch am gleichen Abend an. Lars ist unheimlich stolz deswegen.

„Exit“ nennt keine genauen Zahlen über Aussteiger – „um nicht als Drohung in der Neonaziszene empfunden zu werden – und verfolgt auch nicht systematisch den weiteren Werdegang derer, die sich an die Gruppe gewandt haben. Jedoch schätzt man, dass nur eine „verschwindende Minderheit“ wieder in die Neonaziszene zurückkehrt. Derzeit halten etwa 100 potentielle Aussteiger engeren Kontakt zu der Gruppe.

Von einem Verbot neonazistischer Organisationen als Alleinheilmittel gegen rechts hält Lars überhaupt nichts: „Wir reden viel über Demokratie. Darüber, wie undemokratisch und autoritär die ganze Nazibrühe ist. Wenn wir verbieten, werden wir unglaubwürdig. Und wer erst einmal in den Untergrund gegangen ist – füer den ist es viel schwerer, abzuspringen und zu „Exit“ zu kommen.“

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