Was Text ist, soll Theater werden

„Freuds letzter Traum“ inszeniert den Tod der Psychoanalyse in einem ehemaligen Berliner Backwarenkombinat

Die Idee zur Theaterproduktion „Freuds letzter Traum“ im VEKKS im Cityback ist eine neckische. Autor und Regisseur Jörg Lukas Matthaei klopft Freuds textliche Hinterlassenschaft auf die Themen Natur, Krankheit und Heilung ab, verbindet sie mit anderen Texten und schreibt dem realen, morphiumgesättigt dem Tod entgegendämmernden Psychoanalytiker Fausts Schlussmonolog in die schwindenden Sinne – vom sich durch Arbeit adelnden Menschentier.

Freud – im Zusammenspiel mit Goethe – als letzter Humanist und gleichzeitig als Vater einer selbstrefenziellen Moderne? Der Gedanke klingt herausfordernd und ist im Programmheft auch erst einmal elegant umgesetzt. Die „Traumdeutung“ wird dort zum „Dschungelbuch der Seele“, zum windungsreichen Weg der Erschaffung eines fragilen „Ich“. Der gelernte Literaturwissenschaftler Matthaei schwingt sich hier von Klinik, Wissenschaft und Kunst hin zur Identitätsbildung und streift die Phasen Kindheit, Krankheit, Heilung, Tod. Interdisziplinarität ist ein hohes Gut heutzutage.

Sogar der Ort wird einbezogen. Dieter Repkow, ehemals Technischer Direktor des Backwarenkombinats, in dessen Räumen jetzt das VEKKS sein Theaterstück spielt, erzählt vom traumatischen Ende seines Betriebs. Gerade bei Dieter Repkow offenbart sich jedoch die Schwäche der theatralischen Umsetzung. Linkisch liest der 73-Jährige die Informationen, die er lange verinnerlicht hat, vom Blatt ab. Die Stimme versagt ihm zuweilen, wie man es von den im Tonfall flachen und sich hysterisch überschlagenden Reden der Genossen Ulbricht & Honecker zur Genüge kennt. Ein Fossil ist hier ausgestellt – und psychoanalytische Praxis falsch zitiert. Heilung kann das Reden diesem Mann oder seinen im Publikum sitzenden ExkollegInnen nicht mehr bringen.

Zum Auftakt des vierteiligen Aufführungsbogens wird die 12-jährige Alina Ullmann vom Ensemble des carrousel-Theaters verheizt. Das Mädchen sagt Freuds Natur-Kultur-Text – quasi als vorauseilende Coverversion von Goethe konfiguriert – wie ein Weihnachtsgedicht auf. Natur gleich Kind gleich Unschuld – wie niedlich.

Plumper Naturalismus beherrscht die Inszenierung auch weiterhin: Die Stotterin Ina Schröder stottert Witze über das Stottern. Der Tänzer Ingo Reulicke muss sich in den konvulsivischen Zuckungen der Hysteriker winden, die vor hundert Jahren zwar surrealistischen Dichtern als wahres Schönheitsideal galten, im heutigen Kontext jedoch allenfalls leer sind, wenn nicht sogar peinlich.

Am Ende dann sagt die – natürlich blinde und mit einer Kittelschürze bekleidete –Renate Priese noch die Vision des erblindeten Faust so unbeholfen überbetont auf, dass Goethes Verse wie armseliger Agitprop wirken. Wider Willen wird der verstaubte Humanistentext so auch noch verraten. Kopftheater ist hier zu sehen. Möglicherweiseganz interessant gedacht, aber laienhaft in Szene gesetzt. TOM MUSTROPH

„Freuds letzter Traum“. Die nächsten Aufführungen vom 11. bis zum 13. und vom 18. bis zum 20. Augst, jeweils 20.30 Uhr. VEKKS im Cityback, Prenzlauer Allee Ecke Saarbrücker Straße,Tel. 28 38 55 89