: Anwälte auf Schmusekurs
Der Deutsche Anwalt Verein will Däubler-Gmelins Justizreform zu Fall bringen, weil er den Richtern misstraut. Doch aus taktischen Gründen greift er nun deren Argumente auf
FREIBURG taz ■ Die Anwaltschaft lehnt die von Justizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) geplante Reform des Zivilprozesses weiter ab. „Die Justiz würde durch diese Reform weder bürgerfreundlicher noch effizienter“, kritisierte gestern Dierk Mattik, der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Anwalt Vereins (DAV). Am liebsten beließen die Anwälte alles beim Alten.
Ziel der Reform ist es, möglichst viele Zivilprozesse bereits in erster Instanz, also beim Amts- oder Landgericht, zu erledigen. Deshalb sollen dort künftig mehr Richter eingesetzt werden. Die nötigen Kapazitäten würden frei, wenn häufiger Einzelrichter (statt Kammern) zuständig wären und Berufungsmöglichkeiten eingeschränkt würden. Vor allem diesen Plan halten die Anwälte für gefährlich. „Es ist nicht bürgerfreundlich, wenn dem Bürger Rechtsmittel genommen werden“, betonte Anwaltsvertreter Mattik.
Die Anwälte fordern, dass auch weiterhin in zweiter Instanz eine volle Beweiserhebung über Tatsachen möglich sein muss. Däubler-Gmelin wollte die Berufung ursprünglich auf Rechtsfragen beschränken, hatte aber eingelenkt. Die Tatsachenfeststellung eines Urteils soll überprüfbar sein, wenn „ernstliche Zweifel“ bestehen.
Anwälte und Ministerium sind nur noch Nuancen voneinander entfernt. In knapp 15 Prozent der zweitinstanzlichen Verfahren findet heute eine neue Beweisaufnahme statt.
Die Möglichkeit, aussichtslose Berufungen ohne mündliche Verhandlung abzulehnen, wird vom DAV gar nicht mehr abgelehnt. Das überrascht, denn früher war dies Hauptkritikpunkt der Anwälte. Die Zurückhaltung der Anwälte hat wohl vor allem taktische Gründe: Bisher warfen sie den Richtern implizit vor, dass sie neue Spielräume zu Lasten der Bürger schaffen würden, um sich selbst Arbeit zu ersparen. Solche Argumente sind aber nicht mehr opportun, wenn man gemeinsam mit der Richterschaft gegen die Justizreform vorgehen möchte.
Der neue Schmusekurs gegenüber den Richtern wird auch daran deutlich, dass die Anwälte gestern heftig gegen den zunehmenden Einsatz von Einzelrichtern wetterten. „Sechs Augen sehen mehr als zwei“, betonte DAV-Mann Mattik. Dabei hatten die Anwälte bisher mit Einzelrichtern kein Problem: Untersuchungen zeigen, dass gegen deren Urteile seltener Berufung eingelegt wird. Während also die Bürger mit den Einzelrichtern durchaus zufrieden sind, lehnt der Deutschen Richterbund den zunehmenden Einsatz ab.
Wie taktisch die Argumentation der Anwälte bestimmt ist, zeigt sich auch an einem weiteren Punkt. Bisher kritisierte der DAV, dass die Reform ein Sparmodell sei. Doch weil die Länder Mehrkosten befürchten, stoßen nun auch die Anwälte in dieses Horn. Den Ländern, so ihr Argument, drohten angeblich „bis zu 500 Millionen Mark Zusatzkosten“. CHRISTIAN RATH
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