: Amerika, aus dem Feuer geboren
aus WashingtonPETER TAUTFEST
„Unbeschreiblich schön ist dieses Schauspiel bei Nacht, wenn man die Flammen meilenweit im Umkreis sehen kann, wie sie die im Dunkel verborgenen Hügel hinauf- und hinablaufen, so als wallten funkelnd Lichterketten aus flüssigem Feuer wie Girlanden vom Himmel.“ Das ist nicht die faszinierte Impression eines erschöpften „Fire Fighters“ am Ende eines Tages in Montana oder Idaho, Kalifornien oder Nevada, kein Tagebucheintrag von einem der tausenden Feuerwehrleute, Nationalgardisten, Soldaten und Freiwilligen, die über 60 riesige Wald- und Präriebrände in elf westlichen Bundesstaaten Amerikas bekämpfen. Die Beschreibung dieses Präriefeuers stammt aus dem Jahre 1832, und geschrieben hat es George Catlin, der Maler des Wilden Westens.
Den dieses Jahr durch Amerikas Westen rasenden Feuern gewinnt niemand derart poetische Bilder ab. Die Medien berichten von abgebrannten Flächeneinheiten, Höhe der Schäden und Zahl der am Einsatz gegen die größte Serie von Waldbränden in 60 Jahren beteiligten Feuerwehrleute, als handele es sich um Kriegsberichterstattung. 1,6 Millionen Hektar, das entspricht ungefährt der Fläche Schleswig-Holsteins, sind bisher abgebrannt. Es brennt nördlich von Los Angeles und im Mesa-Verde-Nationalpark, besonders viele Feuer brennen zur Zeit im Grenzgebiet von Montana und Idaho. Es brennen Wälder und Strauchsteppen. Es brennt in den Bergen und in den Niederungen, im Great Basin und auf dem Colorado Plateau. Und das Schlimmste steht noch bevor.
Feuer formen Amerikas Landschaft
Gründe für die Brände sind feuchte Winter, in denen viel Gras wuchs, und der heiße Sommer, der es mit anhaltenden Rekordtemperaturen austrocknete, Schuld sind die so genannten trockenen Gewitter und heiße Winde, die Funken zu Feuersbrünsten anfachen. Verantwortlich sind El Niño und La Niña, global gestiegene Temperaturen und eine planetarische Hitzewelle. Gründe lassen sich dutzende anführen, Hauptgrund aber ist, dass es in Amerika nun mal brennt – schon immer und immer schon großflächig.
1524 schrieb Giavanni da Verrazzano, dass man die Nähe Amerikas hunderte von Seemeilen entfernt an dem würzigen Brandgeruch erkennen könne, der von Land her hinaus aufs Meer wehte. Stephen J. Pynes Buch über „Feuer in Amerika: Eine Kulturgeschichte der wilden Brände“ (Princeton University Press) fasst 1982 zusammen, was die ersten Entdecker und nachfolgende Naturbeobachter schon seit langem wussten: Amerika besteht aus einer Serie von Ökosystemen, in denen Feuer von zentraler Bedeutung sind. Ganze Landschaften sind durch das Feuer geformt. Das gilt für die Wälder des Nordwestens so gut wie für die des Nordostens, wo Feuer die Tannenzapfen aufsprengten, damit neue Bäume wachsen konnten; das gilt für die Prärie wie für die savannenartigen Landschaften am westlichen Rand des atlantischen Waldgürtels. Feuer fiel vom Himmel oder wurde von Menschenhand gelegt.
William Woods beschrieb 1633 in seinen „Neuenglischen Aussichten“ eine Landschaft, die eher einem Park denn einer Wildnis glich. In den Wäldern konnte man bequem zur Jagd reiten, und an bestimmten Stellen wuchsen Beeren in derartiger Fülle, dass man den Eindruck hatte, die Sträucher seien von einer wohlmeinenden natürlichen Vorsehung zum Labsal der Ausflügler und Jäger da hingesetzt. Seltsam nur, dass viele der im 17. Jahrhundert in Neuengland gegründeten Kolonien wieder aufgegeben werden mussten, weil die Siedler trotz des Überflusses Hunger zu leiden begannen. Henry David Thoreau, der Begründer des modernen Umweltschutzgedankens, bekam Woods Schriften mehr als 200 Jahre später in die Hände. Er kam so wenig wie die frühen Siedler auf den Gedanken, dass die ersten Europäer nicht Wildnis kolonisiert, sondern Kulturland übernommen hatten, ohne dessen Bewirtschaftung zu verstehen. Waldindianer aber verstanden, dass Beeren in Feuerlichtungen besonders gut gediehen und Bären anlockten, deren Fleisch und Pelze sie liebten; dass regelmäßige Feuersbrünste bestimmte Gräser begünstigten, die Mäusen schmecken, die ihrerseits Füchse anzogen, deren Pelze bei Indianern populär waren; dass Biber besonders von jungen Espen angezogen wurden, die nach Waldbränden aufschossen, und dass Biber, deren Schwänze eine Leckerei waren, mit den jungen Bäumen Dämme bauten, in deren Stauseen Fische gediehen.
Blitze und Brandstiftungen
Besonders beschäftigt hat die Fantasie der Ökohistoriker die Rolle des Feuers bei der Herausbildung der Prärie. 1804 inspizierten Meriwether Lewis und William Clark auf Geheiß des Präsidenten Thomas Jefferson jene Ländereien westlich des Mississippi, die die USA gerade Frankreich abgekauft hatten. Sie kamen durch endlos sich hinziehendes versengtes Land, aus dessen Asche frisches Gras spross, an dem sich Büffel- und Antilopenherden weideten. Die Feuersbrünste mussten über hunderte von Meilen getobt haben, und die äsenden Herden erstreckten sich, so weit das Auge reichte. Die Theorie, dass die Indianer durch ein Jahrhunderte währendes Feuerregime die Prärie angelegt und damit eine Büffelmonokultur geschaffen haben, ist ein schöner, wenn auch umstrittener Gedanke. Es ist unwahrscheinlich, dass im Regenschatten der Rocky Mountains je etwas anderes gediehen wäre als Halbwüsten und Trockensteppe, Savannen und ausgedehntes Grasland. Dass aber Feuer diese Landschaft immer wieder heimgesucht hat, ist unbestritten. Es fiel so oft vom Himmel, wie es von Indianern angelegt wurden. Indianer legten Feuer, um Büffel in Abgründe und feindliche Stämme in die Flucht zu treiben. Nicht alle Feuer ließen sich kontrollieren, etliche richteten schwere und ungewollte Schäden an – schon damals.
Vor Ankunft der Europäer jedenfalls brannte Amerikas Westen einigermaßen regelmäßig. Durch die Wachholderwälder des Colorado Plateau rasten Feuer alle 10 bis 30 Jahre, durch die Ponderosawälder alle 2 bis 10 Jahre und durch die Koniferen- und Mischwälder alle 5 bis 25 Jahre. Weidewirtschaft aber und die Zerstückelung der Landschaft durch Wege und Straßen sowie ein fast 100-jähriges Feuervermeidungsregime sorgten für aufgestautes Brennmaterial, das sich periodisch in katastrophalen Feuerstürmen entzündet.
Seit 1930 nimmt die Zahl der Brände zu, bei denen mehr als 4 Hektar abbrennen. Seit 1979 scheint sich die Zahl der sommerlichen Waldbrände in Amerikas Südwesten jedes Jahrzehnt zu verdoppeln. Seit 1968 hat der U.S. Forest Service seine Politik der rigiden Feuerverhinderung aufgegeben. „Controlled Burns“ lautet die neue Strategie, die angefallenes Brennmaterial unter Aufsicht durch absichtlich gelegte Feuer aus der Welt schaffen soll. Der Feuerreigen der diesjährigen Saison begann denn auch mit einem solchen Controlled Burn in New Mexico, der außer Kontrolle geriet und das Atomlabor Los Alamos zu verschlingen drohte.
Zweifel an „kontrollierten Bränden“
Inzwischen melden sich ganz unabhängig von der Beinahkatastrophe in Los Alamos Zweifel an der Theorie der Controlled Burns. Eine im Journal Science letztes Jahr veröffentlichte und unter Beteiligung des U.S. Geological Survey angestellte Untersuchung weist für die kalifornischen Strauchsteppe nach, dass die Brände im gleichen Maß zunehmen wie die Bevölkerung. Viele Brände werden unbeabsichtigt von Menschen gelegt. Auch gehorcht die Strauchsteppe anderen Gesetzen als etwa die Wälder des Nordwestens. Was nach einem kontrollierten Brand nachwächst, brennt genauso leicht wie das, was angezündet wurde, um einen Brand zu verhindern.
Der Forest Service will denn jetzt auch seine Politik der kontrollierten Feuer erst mal überdenken. Derweil hat er alle Hände voll mit unkontrollierten Bränden zu tun, die George Catlin so beschreibt: „Es gibt noch anderes Präriefeuer, das einer anderen Feder und anderer Worte zu seiner Beschreibung bedarf. Das ist der Krieg der Flammen und eine Flammenhölle. Es brennt da, wo das Gras sieben bis acht Fuß hoch ist wie in den Niederungen des Missouri. Hier rast das Feuer vorm Wind so schnell dahin wie ein Pferd in vollem Galopp, es rast hierhin und dahin und regnet allerorts herunter, zugleich tausend neue Feuer entzündend, die ihrerseits wieder umgehend in dichten Rauch gehüllt sind und wie eine schwarze Wetterwand dahinrollen mit den Blitzen und Donnergetöse.“
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