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Christentum-Klischees unerwünscht

■ Sebastian Giesen, neuer Leiter des Barlach-Hauses, will unbekannte Facetten des Künstlers zeigen

(Fast) pünklich zur Expo-Halbzeit am 1. August hat er sein Amt angetreten, ist genau zum Beginn der lauen Sommerregen in das Ernst Barlach Haus Stiftung Hermann F. Reemtsma im Jenischpark eingezogen: Sebastian Giesen, der seit knapp zwei Wochen neuer Leiter des Barlach-Hauses ist und seither die – mit Güstrow – bedeutendste Sammlung von Skulpturen, Zeichnungen und Druckgraphiken des Künstlers betreut.

Architektur, Kunst- und Baugeschichte hat der 1970 in Koblenz geborene Giesen studiert und über Goethes Faust in der europäischen Kunst des 19. Jahrhunderts promoviert. Zuletzt war Giesen, der am Barlach-Haus Eva Caspar nachfolgt, wissenschaftlicher Assistent an der Hamburger Kunsthalle. Doch es ist nicht nur die ständige Ausstellung, die zu den Spezialitäten des Barlach-Hauses zählt: Wichtiger Bestandteil des Programms sind auch die Wechselausstellungen über Künstler des 19. Jahrhunderts.

taz hamburg: Welche Schwerpunkte wollen Sie künftig setzen?

Sebastian Giesen: Ich möchte regelmäßiger als bisher Sonderausstellungen durchführen. Natürlich werden wir weiterhin Kunst der klassischen Moderne und angrenzender Epochen präsentieren, wobei inhaltliche und formale Bezüge zum Werk Barlachs im Vordergrund stehen sollen. Für November dieses Jahres ist zum Beispiel eine Max-Beckmann-Schau geplant, der, wie Barlach, ein sehr vielseitiger Künstler war und sogar Dramen geschrieben hat.

Welche Barlach-Facetten wollen Sie über das sattsam Bekannte hinaus präsentieren?

Ich möchte ein Lesungs-Programm initiieren, um dem Publikum auch das literarische Werk des Künstlers zugänglich zu machen. Denn Barlach hat immerhin einige Dramen geschrieben, in denen die Ironie dieses Künstlers deutlicher wird als in seinem plastischen Werk. Ich könnte mir – neben aufeinander abgestimmten Veranstaltungen mit dem benachbarten Jenisch-Haus – auch eine Zusammenarbeit mit kleinen Theatern vorstellen, um die Wechselbeziehung zwischen dem literarischen und dem künstlerischen Werk, in dem bestimmte Charaktere immer wiederkehren, ins Bewusstsein zu rücken.

Welche Grundhaltung kennzeichnet Barlachs Figuren?

Sie sind oft vom Schicksal gebeutelt und kommen mehr oder weniger gut damit zurecht – und hier liegt vielleicht eine Parallele zu Barlach selbst, der lebenslang ein Getriebener war, sich nirgends auf Dauer wohl fühlte, Lehraufträge wiederholt ablehnte und immer auf der Suche nach Sinn war. Und in den 30er Jahren, als die Nazis seine Kunst diffamierten, stand er ja tatsächlich unter enormem Druck; während dieser Zeit hat er sich mit Illustrationen finanziell über Wasser gehalten.

Wie haben die Nazis diese Diffamierung eigentlich konkret begründet?

Das war ganz bizarr: Sie haben ihm künstlerische Qualitäten attes-tiert, lehnten aber die der „Herrenmenschen“-Ideologie widersprechenden „Verlierertypen“ ab.

Würden Sie Barlach als christlichen Künstler bezeichnen?

Ach, ich weiß nicht, ob man mit solchen Klischees viel weiterkommt. Barlach ist immer wieder von verschiedensten Gruppen vereinnahmt worden: einerseits durch die Kirche, zu deren Idealen die Figuren Barlachs ganz gut passten – und er hat ja auch tatsächlich viele christliche Motive geschaffen. Andererseits haben ihn aber auch die Linken vereinnahmt, indem sie ihn als Antifaschisten und Klassenkämpfer betrachteten, weil er Kriegselend und verarmte russische Bäuerinnen darstellte. Dies sind zwar alles unbestreitbar Facetten seines Werks, aber solche Schlagworte werden ihm nicht gerecht: Barlach war ein Mensch, der sich niemals festlegen wollte und der oft einfach auf Alltagserlebnisse reagierte und etwa die Eindrücke seiner Russlandreise festhielt.

Worin liegt die aktuelle Brisanz des barlachschen Werks?

Beeindruckend finde ich die Unbeirrtheit, mit der Barlach seiner Linie treu blieb – auch dann, als die Nazis ihm jede Möglichkeit öffentlichen Arbeitens nahmen. Er hat seine Kunst konsequent weiterentwickelt und sich auch in dieser Hinsicht niemals vereinnahmen lassen. Interview: Petra Schellen

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