: Im Vorgarten Eden
Wahre Lokale (32): Der göttlich stille „Felsenkeller“ in Berlin-Schöneberg
Gott schuf den Mann. Gott schuf die Frau. Und Gott schuf das Lokal, um dem Mann Zuflucht zu gewähren vor der Frau. Soweit die bekannte biblische Geschichte. Was dann jedoch geschah, weiß bislang niemand. Gott nämlich stieg vom Himmel, teilte sich in ein Doppelwesen namens Michaela und Günter und eröffnete den „Felsenkeller“ in Berlin-Schöneberg. „Ein Experiment, gewiss“, dachte Gott. Erst hatte er die Menschen aus dem Paradies vertrieben, und jetzt wollte er eine Wegkrümmung weiter ein Idyll schaffen. Wenn das mal gut ginge.
Aber zuvor musste Gott seinen alten Feind Volker Hauptvogel ausschalten. Hauptvogel leitete das berüchtigte Schöneberger Bermuda-Dreieck, das aus der „Möve“, dem „Storch“ und dem „Pinguin“ bestand. Drei exzellente Lokale, die Hauptvogel als ehemaliger Punk-Sänger und heute jovialster Gästebetreuer der Welt nur eingerichtet hatte, um sie seinem Familiennamen entsprechend benennen zu können. Die „Möve“ war das schnurrige Bierlokal für den Trinkabend, der „Storch“ das Restaurant für den elsässisch feinen Schmaus und der „Pinguin“ die Bar für den nächtlichen Musikfreund. Alle drei Lokale lagen im Zentrum Schönebergs zwischen Haupt- und Grunewaldstraße, wurden fleißig besucht, und bis dahin war das Leben geradezu glücklich eingerichtet. Das wurmte Gott schon sehr. Er wollte die Menschen glücklicher machen. Und so fuhr er in die Wirtskörper von Michaela und Günter, brach ein Schmuckstück aus dem Triadem, benannte die „Möve“ in „Felsenkeller“ um, und alles, alles war gut. Nein, besser. Gott weinte ein wenig vor Glück.
Und er hatte auch allen Grund dazu. Sieben verschiedene Biere am Zapfhahn, das sollte ihm erst mal jemand nachmachen. Wohlgefällig ließ Gott den Blick schweifen. Mit dem Interieur hatte er bereits eine sichere Hand bewiesen. Im hanseatisch kargen Raum dezent verteilte Schiffsutensilien, kleine Bootsbuddeln und Handelsschilder, die in die maritime Ferne lockten. Selbst das Holzschiffchen für den Notgroschen zur Rettung Schiffbrüchiger durfte nicht fehlen. Den Tresen – halb Eiche, halb Kiefer – zierte eine alte Kasse. Nebenan die Schauvitirine mit den abenteuerlichsten Zigarettensorten, die hier entweder ihre Wiederbelebung oder Neuentdeckung feierten: Overstolz und Kapitän. Zwischen den Toiletten gab es die kleinste Ausstellung der Welt, und Gott hätte sich jedesmal wegwerfen können, wenn er neue Gäste beobachtete, die vorsichtig das kleine Türchen öffneten, um in die Winzwelt der Kunst zu schauen. Zur Erinnerung an die Lokal-Genesis sollte eine ausgestopfte Möwe von der Decke baumeln. Und zu Weihnachten würde sie jedes Jahr einen güldenen Kranz auf dem Vogelkopf tragen. Perfekt aber wurde der „Felsenkeller“ erst durch einen kleinen Kniff, auf den Gott besonders stolz war. Es gab keine Musik, keine lärmenden Instrumente durften die Stille durchdringen. Dafür sollten die Menschen selber sorgen. Denn etwas fehlte Gott dann doch noch, und er überlegte lange.
Noch war der „Felsenkeller“ nicht vollkommen. Eine Idylle wird erst dadurch perfekt, dass sie gestört wird, wusste Gott, und plötzlich rasselte ihm eine blitzgescheite Idee durch den Kopf: Natürlich, der „Felsenkeller“ brauchte Stammgäste! Ein passendes Trinkpersonal, das dem Vorgarten Eden lärmend seine Einzigartigkeit vor Augen führte. Jeder Stammgast sollte nach seinem Äußeren einen Namen erhalten: Gabi Linsensuppe, Busen-Britta oder Karl Lagerfeld. Als Spitzenkräfte aber rekrutierte Gott aus dem schräg gegenüber liegenden Kaufhaus die „Hertjes“, wie er es gern vornehm aussprach. Die Kerngruppe der „Hertjes“ bestand aus einem Paar namens Schamhaar-Rita und Lampen-Horst, die eine putzige Kopfwolle spazieren trugen und sich spätestens nach dem siebten Getränk unentwegt stritten. Schamhaar-Rita und Lampen-Horst nahmen ihre Störeraufgabe mit professioneller Routine wahr und ramenterten jedesmal so lange, bis Gott einschreiten musste und sie mit sanfter Entschiedenheit ins Separeé an den Infantilentisch verbannte. Und Sanftheit wollte Gott ausstrahlen, dies sollte zukünftig sein erster Wesenszug sein. Schließlich hatte er schon genug Unfug angestellt und Unheil über die Welt gebracht. So konnte er an diesem Ort doch noch etwas Humanität unter die Menschen bringen. Und sei es durch den Kartoffelsalat – den besten der Welt. MARC EINHELLIG
Hinweis:Gott fuhr in die Wirtskörper, und alles, alles war gut. Nein, besser. Gott weinte ein wenig vor Glück
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen