: Der lange Abschied
So wird die Saison, die wird (Teil 7: Bayer Leverkusen): In seiner letzten Saison will Christoph Daum endlich den überfälligen Meistertitel nach Leverkusen holen und noch erfolgreich Salat pflanzen
von KATRIN WEBER-KLÜVER
Für seine Verhältnisse hat sich Christoph Daum recht lange zurückgehalten. Vielleicht, weil er den Juli über damit beschäftigt war, sich vorzustellen, wie aufregend es wird, Bundestrainer zu sein. Vielleicht, weil er dabei schon mal versucht hat, nicht immer so viel und emphatisch drauflos zu reden – egal, ob es nun um Spieler oder Systeme oder sonstwas geht. Dann aber, Ende vergangener Woche, konnte der Trainer von Bayer 04 Leverkusen es sich doch nicht mehr verkneifen, wieder in seine blumige Diktion zu verfallen. Natürlich will er in seinem fünften und letzten Jahr bei Bayer Leverkusen endlich Deutscher Meister werden. Und damit man die Dimension des Unternehmens versteht, veranschaulichte er sie so: „Unsere Aufgabe ist es, in der Sahara Salat zu pflanzen.“
Man sieht: Es ist im Moment alles nicht so einfach für die Männer von Bayer. Denn normalerweise ist ja ein Saisonstart der Anfang von etwas. Nur in Leverkusen ist der Auftakt der Saison der Anfang eines langen Abschieds. Alle wissen es, aber keiner weiß, was es bedeutet, dass Christoph Daum im Juni 2001 ins Bundestraineramt überwechselt. Weil dieser Transfer branchenunüblich ein Jahr vor dem Vollzug bekannt gemacht worden ist, haben sie sich bei Bayer jetzt mit allerlei quälenden Fragen herumzuschlagen: Wird das Wissen um den Weggang des Trainers, der für manche Spieler fast wie ein Guru ist, die Mannschaft noch mal motivieren oder eher frustrieren? Wird der Trainer sich noch auf den Verein konzentrieren oder schon von seinem nationalen Auftrag eingenommen sein? Ist Daums Abgang womöglich gar der Anfang vom Ende der Blütezeit am Rhein?
Manchen treibt diese Sorge sehr um. Kapitän Jens Nowotny unkte schon, als Daums Wechsel noch gar nicht perfekt war, Bayer könne ohne diesen Trainer „wieder zurück ins Mittelfeld fallen“. Denn zwar wird Daum ob seines manischen und missionarischen Mitteilungsbedürfnisses und seiner Leidenschaft für Motivationstraining oft verspottet. Aber unstrittig ist es auch zu großen Teilen sein Verdienst, was in den letzten Jahren aus dem einst immer nur despektierlich Werkself genannten Team geworden ist. In der vergangenen Saison spielte Leverkusen den schönsten Fußball der Liga. Nur nicht ganz den erfolgreichsten.
Das Scheitern in Unterhaching am allerletzten Spieltag allein hatte schon für mehr als reichlich Frustrationspotenzial und latente Selbstzweifel gesorgt. Dann kam auch noch Daums angekündigter Abschied. Ulf Kirsten war da restlos bedient und „maßlos enttäuscht“, Nowotny beklagte vorauseilend den „großen Verlust“.
Daum ist ja nicht der Einzige im Klub, der sich zu Höherem berufen fühlt. Das gesamte Bayer-Management hat sich in dieser Sommerpause derart eifrig um die nationalen Belange gekümmert, dass der Verein selbst ins Hintertreffen zu geraten drohte. Und derweil Rudi Völler vom Sportdirektor bei Bayer zum Teamchef beim DFB befördert wurde und auch Geschäftsführer Reiner Calmund mit dem Verband zu flirten begann, verlor der Verein den Poker um seinen Superstar Emerson gegen den AS Rom und konnte sich mit dem HSV nicht über einen sofortigen Wechsel von Hans-Jörg Butt einigen. Zumindest für den Übergang ist ersatzweise der Schweizer Nationaltorhüter Pascal Zuberbühler verpflichtet worden. Wenn der allerdings wirklich hält, was er verspricht, könnte Leverkusen am Ende der Saison ein Problem durch zu viel Torwartqualität bekommen. Denn nach wie vor wird für 2001 am Butt-Transfer festgehalten.
Ein Mittelfeldproblem hat Leverkusen schon jetzt. Nur anders herum. Neben Emerson ist auch Stefan Beinlich (zur Hertha nach Berlin) gegangen. Namhafte Zugänge fürs Mittelfeld hingegen fehlen. In den jüngsten Testspielen hat sich die Hoffnung auf Jurica Vranjes als neue Kraft im defensiven Mittelfeld kapriziert. Nur ist Vranjes gerade mal 20 Jahre alt, und auch ein Emerson hat Zeit gebraucht, in Leverkusen seinen Platz zu finden und seine Klasse zu zeigen.
Nominell jedenfalls hat der Kader zum ersten Mal in Christoph Daums Amtszeit an Profil verloren. Vielleicht gelingt der Mannschaft auch gerade in diesem merkwürdigen Interimsjahr und in der Ungewissheit eines angekündigten Umbruchs, was in der stabilen Zeit der Daum-Ära notorisch missglückte: erstmals in der Vereinsgeschichte Meister zu werden. Ulf Kirsten zumindest hat die Enttäuschung über die Karriereplanung seines Lieblingstrainers inzwischen überwunden und Bayer zur potenziellen „Überraschungsmannschaft“ erklärt. Aus einfachem Grund: „Weil uns die Leute von außen wirklich nichts zutrauen.“
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