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„Mannheim ist mein Zion“

Seelenmanna für alle: Xavier Naidoo, deutscher Soulbrother und frommer Betbruder, ist der unwahrscheinlichste Popstar der Republik. Ein Gespräch über seine Bekehrung zum Glauben und die Schlauheit seines Schöpfers, das Automobil als Gotteswerk und die multikulturelle Zukunft in Deutschland

Du führst deinen Erfolg vor allem darauf zurück, dass sich dein Leben radikal verändert hat. Wie meinst du das?

Ich habe Gott kennen gelernt. Das muss Silvester 1993 gewesen sein: Ich habe in der Bibel gelesen, zum ersten Mal, und war völlig von den Socken. Da kannst du meine Mutter fragen – seitdem hat sie einen ganz anderen Sohn. Ich bin nur ein kleines Licht. Aber jetzt mache ich etwas, das obergeil ist: Ich dringe mit meiner Musik in die Herzen der Menschen ein. Und was will ich mehr? Ich gebe alles, was ich habe, für die Sache – für Gott.

Du sollst damals eine übersinnliche Eingebung gehabt haben. Wie sah die aus?

Ich hatte so eine Jahreszahlkerze, da stand 1993 drauf. Die habe ich abgebrannt, bis die Eins weggeschmort war. Dann habe ich einfach mal Seite 993 in der Bibel aufgeschlagen – der zweite Brief des Petrus, und der endet mit dem Satz: „Durch meinen Traumboten Silvanus“. Silvanus an Silvester – das war für mich wie ein Schlag in die Fresse. Was der Petrus da schreibt, hat mich extrem angesprochen, so als wäre es nur für mich geschrieben, wie eine Art Fingerzeig. Ich habe sofort gewusst: Hier hast du dein Ding gefunden.

Unterscheidest du zwischen Glauben und Religion?

Richtig, ich glaube. Ich glaube nicht, dass es jemanden gibt, der mehr gegen den Papst wettert als ich. Für mich ist der Papst als Vertreter Gottes auf Erden völlig indiskutabel.

Aber du bist katholisch ...

Ich bin so erzogen worden. Was ich der römisch-katholischen Kirche zu verdanken habe ist meine Gottesfurcht. Aber ich brauche nicht in die Kirche zu gehen, um Gott zu finden, sondern erlebe ihn jeden Tag. Ich sehe irgendwo fließendes Wasser und sage: Danke, dass es das gibt.

Unter Marketinggesichtspunkten ist ein Sänger, der mit Bibelsprüchen um sich wirft, natürlich genial ...

Da siehst du, wie schlau Gott ist.

In deinem neuen Video rast du mit einem Ferrari durch die Alpen. Korrespondiert das mit deinem Glauben – im Sinne von „mach dir die Welt Untertan“?

Auf jeden Fall. Wo wären wir denn, wenn wir das Auto nicht hätten – oder das Flugzeug oder was auch immer? Wir sollten einfach alles Benzin, alle Giftstoffe und alle Abgase verbrennen, damit sie aus unserer Atmosphäre entweichen. Danach werden wir nie wieder Probleme haben! Lasst die Leute dann endlich mit ihren Plänen über Sonnenenergie oder Windenergie ankommen, die ja noch alle unter Verschluss sind – und lasst uns mit Wasser fahren. Der Wald wird sich nach spätestens einem Jahr erholt haben. Der Mensch denkt, er sei schuld an den Problemen der Natur. Aber die scheißt auf uns – die hat Gott, die braucht uns nicht. Auch wenn ich der Einzige bin, der daran glaubt ...

Dann ist das Auto dein persönliches Goldenes Kalb?

Also, ich ertappe mich immer wieder dabei, wie sehr ich am Automobil hänge. Für mich hat es unmittelbar mit Gott zu tun – wenn ich alleine im Auto bin, bin ich mit Gott. Fast so, als wäre dieser faradaysche Käfig nur für mich gemacht worden. Überhaupt sind wir eine in-car-nation. In Amerika gibt es Rapper, die sitzen im Auto und kiffen. Und weißt du was: Der Rauch ihrer Marihuana-Tüten ist mit meiner verbunden, weil der Wind ihn rüberträgt. Die sitzen in ihrem faradayschen Käfig, und ich in meinem. Für mich ist das so’n geistiger Isolator. Und der funktioniert immer. Das ist das A und O, das Alpha und das Omega.

Deine Mischung aus Materialismus und Spiritualität erinnert ein wenig an TV-Prediger in den USA, die sich hauptsächlich ums eigene Konto kümmern. Hast du keine Angst, als Blender bezeichnet zu werden?

Also, nee. Die Leute sollen sehen: Der Typ ist geil drauf, lebt ein nettes Leben und läuft nicht mit Sandalen rum. Gott verlangt ja nicht von mir, dass ich zu Fuß durch die Alpen latsche.

Dein großes Vorbild ist Herbert Grönemeyer ...

Nicht wirklich. Wenn ich ein Vorbild nennen müsste, wäre es Van Morisson – er berührt mich so krass wie sonst niemand. Was Grönemeyer betrifft, so bewundere ich ihn dafür, wie er mit der deutschen Sprache umgegangen ist. Ich fand es ungewöhnlich, sie so serviert zu bekommen.

Kannst du dich mit der Musik deiner 3P-Kollegen eigentlich identifizieren?

Ich glaube nicht, dass jeder immer hundertprozentig etwas mit jedem anfangen kann. Unsere Meinungen gehen durchaus auseinander – aber dadurch befruchtet man sich ja auch. Insgesamt sind wir ja schon eine Gruppe von Menschen, die auf jeden Fall einen ähnlichen Geschmack hat – auch wenn jeder von uns mal über einen bestimmten Titel des anderen die Nase rümpft.

Moses und du, ihr wirkt ja wie zwei völlig unterschiedliche Typen. Wie habt ihr zueinander gefunden?

Durch die Musik. Das war halt gesucht und gefunden. Weißt du, sobald ich meinen Führerschein hatte, bin ich nachts nach Frankfurt und habe mir den Rotlichtbezirk angeguckt. Ich kam aus Mannheim und habe mich immer gewundert, wie man zwischen diesen Wolkenkratzern existieren kann. Den Weg dazu habe ich dann über eine Frankfurter Agentur gefunden, die hieß Trust, und das war für mich der Schlüssel. Eben, dass Frankfurt für mich in gewisser Weise auch okay sein kann. Irgendwann habe ich dann den Martin Haas getroffen, und der hat mich Moses vorgestellt.

Willst du dich mit deinem Projekt Die Söhne Mannheims von 3P absetzen? Strebst du nach mehr Eigenständigkeit?

Ich wusste immer, dass ich eine gewisse Popularität brauche für gewisse Sachen, die ich später alleine machen will. Und ich wusste schon vor meinem Album, dass ich meinem Freundeskreis, der mich so geprägt hat, einen Namen geben muss – das sind Die Söhne Mannheims. Für mich ist Mannheim eben mein Zion.

Angeblich willst du drei Milliarden Mark verdienen, um sie der Stadt zu schenken?

Das sage ich deswegen, weil Mannheim drei Milliarden Schulden hat. Alle Gesellschaften bauen darauf auf, dass es eine Schicht von Armen gibt. Aber damit kann ich nicht leben: Ich will kein rotzverschmiertes Kind am Straßenrand sehen, mit einer alten Hose aus den 70ern. Das muss doch nicht sein, wenn ein anderes Kind in Nike-Turnschuhen rumläuft.

Ich peile Wohlstand an, eben dass jeder seinem Kind kaufen kann, was es will – wenn auch mit dem nötigen Verständnis. Es geht nicht, dass einer in seinem Swimmingpool liegt, während der andere mit fünf Kindern in einem Raum übernachtet.

Was denkst du darüber, dass sich deine eher anspruchsvollen Texte in den Charts zwischen Eiffel 65 und den Vengaboys wiederfinden?

Wenn es um Ramsch geht, ist Deutschland wirklich top – nicht einmal unsere Volksmusik ist ehrlich. Jedes Land der Welt hat eine gescheite Folklore – nur wir nicht. Das müsste sich dringend ändern. Ich meine, klar, die Deutschen können ihre Fahne nicht im Garten hochziehen und auch nicht zu ihrer Sprache stehen. Da muss erst ein Dunkelhäutiger daherkommen, der sagt: „Hey, das ist doch alles halb so schlimm – traut euch einfach.“ Für mich ist Deutschland ein geiles Land. Ich gehe sogar so weit zu behaupten, dass die Deutschen die am wenigsten rassistischen Menschen auf dem Planeten sind.

Erlebst du keine Diskriminierungen mehr?

Doch, das kann mir heute noch jeden Tag passieren. Ich steige aus einem guten Auto aus, und für die meisten bin ich ein Dealer. Im Normallfall erkennt mich doch ein 50-Jähriger nicht. Der denkt bloss: ‚Guck mal der Drecksack, was will der Bimbo?‘. Das merkst du an seinem Gesicht, dass er verbittert ist und nicht damit zurechtkommt, dass ein Schwarzer so ein Auto fährt.

Glaubst du denn, dass sich Deutschland je zu einer wirklich multikulturellen Gesellschaft entwickeln kann?

Wir haben heute die besten Voraussetzungen dafür. Mein Vater hat noch sehr gelitten – er floh über Weihnachten immer nach England, weil es dort eine große südafrikanische Gemeinde gab. Hier war er allein, und die Deutschen haben sich nur um ihren engsten Kreis gekümmert. Aber inzwischen ist Deutschland so durchsetzt mit Familien, die Familien sind, dass die Deutschen nicht mehr darum herumkommen. Aus diese Weise ändert sich eine Gesellschaft.

Trotzdem ist ja noch längst nicht alles Sonnenschein ...

Eigentlich müssten wir alle jubeln, statt Frust zu schieben. Aber das Problem ist, dass die Deutschen denken, sie hätten sich was aufgebaut, und die Ausländer nähmen ihnen etwas davon weg. Dabei hat hier nur deshalb ein Wirtschaftswunder stattgefunden, weil Gott es zugelassen hat. Er wollte, dass irgendwann einmal Leute aus aller Welt hierher flüchten können – weil es hier gut ist, es eine Infrastruktur und fließendes Wasser gibt. Jetzt kommen Menschen aus Äthiopien oder egal woher, und für die ist dieser Himmel angelegt. Kein Deutscher kann sich davor stellen und sagen: „Nee, den lass ich nicht rein, das ist mein Land.“

Demnach hat sich Gott nicht für Amerika entschieden?

Weiß ich nicht.

Aber du setzt es mit Atlantis gleich, oder?

Ja, Amerika ist aus dem Nichts gekommen und wird ins Nichts abwandern. Für mich ist es nur eine Frage der Zeit, bis dieses ganze Börsending explodiert. Ich sage das schon seit Jahren: „Leute, das ist nicht gut, was da passiert.“ Denen geht es nur darum, uns auszunehmen.

Wie würde eine perfekte Welt nach Xavier Naidoo aussehen?

Wir kranken daran, dass wir uns nicht um unsere Kinder kümmern. Die ersten drei Jahre lassen wir sie was weiß ich wie oft vorm Fernseher hocken. Wenn ich die Welt verändern könnte, würde ich alle Eltern für die ersten drei Jahre mit ihrem Kind nach Hawaii schicken.

Aber Gott hat ja zum Zweck der Erziehung immerhin auch die Teletubbies geschaffen ...

Hat er wirklich? Ich denke, er prüft dich nur. Wenn du deine Kinder vor die Teletubbies setzt, weiß er, dass du kein guter Elternteil bist. Er sucht sich im Moment nur die Besten der Besten raus – die, die sanftmütig sind, die nicht aufbrausen, und die Geduld haben. Die werden am Ende bestehen.

Was macht Xavier Naidoo, um abzuschalten?

Ich rauche ziemlich viel Marihuana, mehr brauch ich nicht.

Und warum gibst du keine Autogramme mehr?

Weil ich nicht will, dass mich die Leute verehren – das würde meinen Seelenfrieden in Gefahr bringen, ich würde zum Götzen. Also muss ich alles dagegen tun, dass ich auf Postern in Kinderzimmern hänge und Gottes Platz streitig mache. Genau so geht es mir mit Preisen: Wenn ich einen Pokal in der Hand halte, sterbe ich innerlich tausend Tode. Es wird nie so weit kommen, dass mir ein Stück Metall irgendwas bedeutet.

INTERVIEW: MARCEL ANDERS

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