: theater in sibirien
Die Ballade vom Weißen Wolf
Emmerich Laschitz war „der berühmteste Damendarsteller Sibiriens“ – hier als Salome in einer Oscar-Wilde-Aufführung im Kriegsgefangenentheater von Atchinsk. Für die 2,5 Millionen WK1-Kriegsgefangenen in Russland spielten insgesamt 46 Lagertheater. 1917 wurden die Lager geöffnet. Da die Soldaten wegen des Bürgerkriegs nicht repatriiert werden konnten, entstanden „Gefangenenindustrien“. Die Theater waren kommerziell besonders erfolgreich. Laschitz bekam jedoch bald Ärger mit den Bolschewiki, weil er sich weigerte, für den gleichen Lohn wie die Bühnenarbeiter aufzutreten. Er floh – nach Westen. Der spätere Nazi-Bestsellerautor Heinz Gumprecht traf ihn zuletzt in einem Leningrader Kabarett: „Wie immer hatten wir bald Gesellschaft von Damen . . . ‚Still‘, sagte die große Dunkle, ‚die Sensation des Abends‘. Ein Wesen eigentümlicher Mischung besteigt das Podium. Die Dame oder Dirne ist echter mongolisch-semitischer Typ, aber mit arischen Augen von klarstem Blau. Sie ist rätselhaft lockend und abstoßend zugleich. Sie rezitiert mit Pathos die Ballade vom Weißen Wolf. Ich verstehe nur wenig davon . . . ‚Man sagt, sie sei die Geliebte Trotzkis‘, erklärt uns leise die Tochter des Literaturprofessors.“
(Abb. aus: Hermann Pörzgen: „Theater ohne Frau. Das Bühnenleben der kriegsgefangenen Deutschen 1914-1920“, Königsberg 1933)
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