eject
: STEFFEN GRIMBERG über Heckenschützen und den sommerlichen Agenturwahn

Entdecke die Möglichkeiten

Kennen Sie die Neue Osnabrücker Zeitung? Kennen Sie nicht? Kennen Sie doch, wetten: Morgens, im Radio, im Halbschlaf, „. . . sagte Genscher in einem Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung.“ Ganze Nachrichtensendungen bestreitet das Blatt bis heute. Und wird landesweit von Menschen zitiert, die das Original wahrscheinlich noch nie in der Hand hatten: Die Genschers mögen kommen und gehen, doch die Neue Osnabrücker bleibt. Jeden Morgen. Und erst recht im Sommerloch.

Nie ist es leichter, in die Agenturen zu kommen. Sie lechzen nach Nachrichten. Und Namen sind Nachrichten, lautet eine der unumstößlichen Halbweisheiten des Journalismus. Im Sommer reicht sogar schon eine passable politische Funktion. Kaum bekannte Würdenträger aus der dritten Reihe gehen plötzlich als eigene Meldung auf den Draht – schließlich ist der Minister im Urlaub. Und so wird zitiert, was das Zeug hält, ob stellvertretende CDA-Vizevorsitzende zur Steuerreform oder DGB-unabhängige Kleinstgewerkschaftschefs: Hauptsache, der Soundbite stimmt. Die 273. Einlassung eines parlamentarischen Staatssekretärs zum Rentenkompromiss ist da höchst willkommen. Auch wenn der Mann nur das sattsam bekannte Regierungsmantra „Der Konsens ist nah“ nachbetet.

Und die Medien beweisen sich einmal mehr als selbstreferentielles System: Wer sich trotz Hitzewallung im Sommerloch Weitermeldbares aus dem Hirn schraubt, macht das nicht zum Spaß oder bloß fürs eigene Blatt. Sondern für höhere Weihen: die der Agentur. Chefredakteure bemessen den Wert der geleisteten Arbeit danach, ob die entsprechende Meldung überhaupt oder am besten gleich den ganzen Tag über die Ticker gelaufen ist, im Idealfall natürlich mit voller Quelle: „. . . sagte Müpsbeutel im DeutschlandRadio Berlin.“

Vielleicht liegt es daran, dass uns der wahre, tiefe Zugang zum Sommerloch fehlt. Uns dürstet immer noch nach der offiziösen Amtsperson, die den freien Blick aufs weite Feld der Möglichkeiten verstellt.

Ganz anders die Angelsachsen: Dort, wo nicht mal Kommentare namentlich gezeichnet werden, will man nicht auf Meldung komm raus Politik machen. Schon gar nicht da, wo keine ist. Im Mutterland des Zierrasens kümmert man sich vielmehr um Wesentliches, Naheliegendes. Um Landschaftspflege und Gartenbau zum Beispiel: Die Vereinigung „Hedgeline“ fordert seit langem ein „Recht auf Licht“ und niedrigere Gartenhecken. Das ist ein Sommerthema, das ist sogar mehr: ein echtes Politikum. Jetzt will die britische Regierung die Höhe von Gartenhecken nämlich gesetzlich regeln. Schließlich hat es bei Nachbarschaftsfehden schon Schusswechsel mit Verletzten gegeben. Jawoll!

Daran sollten sich unsere Agenturen mal ein Beispiel nehmen. Nicht so was Ödes wie ein Rentenkonsens, der keiner war, keiner ist und keiner wird. Oder ein Staatssekretär Ebisch, der erklärt, dass das Land Niedersachsen den Verkauf gesunder Pausenbrote in den Schulen steuerlich fördern will. Und was macht die Deutsche Presseagentur? Sie meldet’s weiter.