: Das Dschungelblatt
Drei Jahre „Jungle World“ – die linke Berliner Wochenzeitung setzt nach dem Motto „Links liest länger“ auf Schwerpunktberichterstattung und hätte nichts dagegen, eine alternative „Le Monde diplomatique“ zu werden
Der Plan hängt neben den Regalen mit internationaler Presse. Putzdienst. Die ganze Fabriketage in Berlin-Kreuzberg muss gesaugt werden. Diese Woche ist das Feuilleton dran: geteiltes Leid, halbes Leid. Deshalb stehen auch alle RedakteurInnen als HerausgeberInnen im Impressum der Jungle World. Seit dem 31. Juli 1997, als sich die Wochenzeitung nach redaktionellen Querelen von der täglich erscheinenden Jungen Welt abgespalten hatte.
Nach drei Jahren hat sich Jungle World bei 5.000 Abos und einer Auflage von 15.000 Exemplaren eingependelt. Zum Geburtstag wurde in Berlin mit Techno und deutschsprachigem Pop gefeiert. Bis halb fünf, „aber das war den Gästen noch viel zu früh“, meint Tobias Rapp, der als Redakteur unter anderem für Popkultur zuständig ist. Offenbar ist die Leserschaft lange Clubnächte gewöhnt. Und lange Texte. Zum Jubiläum gab es ein Dossier zur „Generation Golfkrieg“: vier Seiten Hintergrund über die aktuelle Situation im Irak, Wirtschaftspolitik und mögliche Clanstrukturen nach Saddam Husseins Abgang inklusive. Das ist gar nicht mal als Konzession an eine Special-Interest-Gemeinde gedacht, sondern gehört zur Blattlinie. Linksintellektuelle ködert man immer noch am besten mit Artikeln, die auch als Buch oder in Readern zum Thema publiziert werden könnten. Kontext und Content statt Infotainment: Links liest länger, schon aus Tradition.
15 Redakteure müssen jede Woche 32 Zeitungsseiten vom linken Widerstand gegen die neue Ökonomie bis zu Antifa-Aktivitäten und Gentech-Debatten stemmen. „Jeder hier ist Generalist, trotzdem gibt es klare redaktionelle Zuständigkeiten“, versucht Ferdinand Muggenthaler als einer der beiden Geschäftsführer den Info-Dschungel zu ordnen. Dass Themen wie Innere Sicherheit durchaus mit Wirtschaft zu tun haben und sich in Kroatien Kunst und Kapital vermischen, spiegelt sich in der wechselnden Gewichtung von Schwerpunkten innerhalb der Zeitung wider. Und es passt zu den Veränderungen im linken Milieu: Wo Jungle World anfangs noch als Plattform für Aktivisten funktionierte, löst sich eine Klientel, die, wie Rapp sagt, „in Lesegruppen ganze Ausgaben diskutiert“, immer mehr auf.
Wie aber auf den Individualisierungsschub da draußen reagieren? Wer sind die LeserInnen? Natürlich wird Kapitalismuskritikern wie Robert Kurz oder dem Chicagoer Professor Moishe Postone weiterhin gewaltig viel redaktioneller Platz eingeräumt. Ansonsten ist auch Jungle World auf der Suche nach neuen Formen der Vernetzung – letzte Ausfahrt: Internet?
Tatsächlich arbeitet die Redaktion an einer Ausweitung in den Online-Bereich. Bislang kann man sich unter www.jungle-world.com schon dienstagabends für umsonst durch die Texte klicken, die erst am Mittwochmorgen in Zeitungsform erscheinen. Doch die Zugriffszahlen sind gering: Etwa 500 User schauen täglich auf der Homepage vorbei.
Lukrativ und auch inhaltlich interessant könnte ein solches Internetprojekt allerdings werden, wenn sich die Redaktion mit anderen Zeitungen verschaltet, mit der in Luxemburg erscheinende GréngeSpoun wird konkret verhandelt. Überhaupt gibt es Pläne, mit linken Zeitungen auf Netzebene zu kooperieren und „einmal im Monat in einer Beilage die Diskussion als eine Art ‚Best of‘-Forum zu veröffentlichen“. Für Muggenthaler könnte daraus eine alternative Le Monde diplomatique entstehen, „nach links verschoben und interaktiver“. Auch eine eigene Online-Redaktion wäre denkbar, doch dafür fehlen momentan Geld und Konzept. Vielleicht kann man aber schon bald längere Fassungen von Vorabdrucken etwa aus den Schriften Enzo Traversos auf der Homepage lesen und in der Zeitung dann die historische Analyse zum Antikommunismus – in Pillenform. Dann wäre die Verschränkung von linker Debattenkultur in Buchform und einer schnellen Kommunikation solcher Texte über das Internet ein gutes Stück weiter. Nur der Putzdienst bleibt.
HARALD FRICKE
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