: Das widerwärtige Spiegelbild
Der Rechtsradikalismus wird vornehmlich als Problem des Ostens identifiziert. Dabei konnte im Osten nur schief laufen, was im Westen schon lange vorher schief lief
Keine Frage: Seit fast zehn Jahren können sich nur noch Todesmutige anderer Hautfarbe, anderer Sprache oder Religion in etlichen Teilen Deutschlands bewegen. Heute jedoch, da deshalb in der Wirtschaft wieder einmal Sorge entsteht über den Standort Deutschland, der rechten Gewalt wegen, ist auch der Kanzler um das deutsche Image besorgt. Was David Riesman als außengeleitet, other-directed, beschrieb: Nicht Antirassismus als Wert an sich, sondern Sorge um das „deutsche Image“ vermochte hier schon immer einiges zu bewegen, und so haben wir nun die regierungs-gesponserte Aktion „Gesicht zeigen“, Promis und der Zentralrat der Juden sollen ihren Segen dazu geben, Schnellgerichte gar die bösen rechten Buben aburteilen.
All dies wird vornehmlich als ein Problem des Ostens präsentiert, und Experten erzählen uns, warum das mit der Zivilgesellschaft im Osten und der Zivilcourage in Deutschland so schlimm ist. Da wird einmal die Kasernierung von Kleinkindern in Kinderkrippen als Ursache erfunden, ein andermal fehlt den Ostlern die notwendige Konfliktbereitschaft, oder der verinnerlichte Autoritarismus hält sie in vordemokratischen Denk- und Verhaltensweisen fest. Die Ostler, so wird schnell klar, passen nicht in das geschmiert laufende demokratische System der Bundesrepublik, und es bedarf allen prominenten Engagements, das denen irgendwie beizubiegen.
Doch den neuerlichen Diskurs rassistischer Gewalt gibt es seit der Vereinigung und dem damit verknüpften nationalen Rausch, und er kam ausschließlich aus dem Westen: die rechtsradikalen Parteien, der rassistische Zungenschlag in der Asyldebatte und die brutalen Abschiebungen, Rauswurf ausländischer Arbeiter aus Ostdeutschland, Rassismus in Polizei und BGS, die hinlänglich bekannte Apartheid in Studentenwohnheimen und städtischen Wohnanlagen, Vernachlässigung von Schulen mit hohem Ausländeranteil, die zynische Kosten-Nutzen-Form der Green Card für Computer-Gastarbeiter und vieles mehr. Aber warum rücken gerade jetzt (und nicht schon vor Jahren) die Bier saufenden Glatzen aus dem Osten ins Visier der prominenten Öffentlichkeit? Und warum nicht die nicht weniger rassistischen Schreibtischtäter aus dem Westen, die uns vor einem durchrassten und durchmischten Deutschland warnen? Warum nicht jene, die uns von hohen Parteiämtern aus vor „unnützen Ausländern“ schützen wollen und warum nicht das Milieu der Militär- und Nazidevotionalienhändler, aus dem die Schläger von Lens kommen und in denen die Verantwortlichen für den Anschlag in Düsseldorf gesucht werden? Nazis? Neue Rechte? – da zeigt es sich leicht nach Osten. Was also ist schief gelaufen im Osten? Wie kam es, dass die Nazis im Osten zur einzig erfolgreichen Bürgerbewegung seit 1990 geworden sind?
Die Antwort ist so einfach wie unbequem: Im Osten konnte nur schief laufen, was im Westen, in kleinerem Format vielleicht, schon sehr lange schief lief, weil die fünf neuen Länder seit der Vereinigung das institutionalisierte Abbild all dessen geworden sind, was von Bonn aus in den Anschlusskandidaten transferiert wurde. Klar, Skinheads und Hooligans waren auch schon im Visier der Stasi, aber jetzt erst wird uns schmerzhaft klar, was es heißt: Nur was wirklich zusammengehört, wächst auch zusammen. Die einen liefern die Schreibtischtäter und geistigen Brandstifter, das parteiliche Know-how und das Geld, und die andern gehen auf die Straße und walzen platt, was stört. Das ist das Muster der Vereinigung.
Im Unterschied zum Westen gibt es im Osten kaum demokratische Institutionen, die von den Bürgern geschaffen oder in Besitz genommen werden konnten. Die Runden Tische der Wende, die Vereine aus der DDR oder Einrichtungen wie die Jugendweihe waren politisch verdächtig und wurden von der Institutionenwalze „Westliche Demokratie“ weggedrückt. Nun lernen wir aber, dass Demokratie nicht nur eine Sammlung verbriefter Rechte ist, die man quasi über Nacht erlassen kann, sondern die Vervielfachung dessen, was die Bürger einer Gesellschaft tun, um ihr Gemeinwesen in Besitz zu nehmen.
Den Ostdeutschen aber wurde ihre eigene Geschichte, ihre eigene Würde aberkannt: Die politischen Institutionen kamen aus dem Westen, die, die zuerst Dienst taten – damals im „Busch“ –, kamen aus dem Westen, die neuen Eigentümer der maroden Betriebe waren fast immer Westler. Keine Poliklinik und keine LPG durfte überleben. Eigene ostdeutsche Entwicklungen hatten keine Chance: Die Grauschuh tragenden, Trabi fahrenden Ostler wurden zu den belächelten Andersartigen gemacht, die es zu erziehen galt. Es durfte keine Diskussionen darüber geben, ob nicht manches im gemeinsamen Deutschland in Zukunft anders oder besser zu machen wäre. Keine Experimente! Wir sind die Sieger und bestimmen die Regeln. Es gibt keine Debatten mehr, nur noch den Verteidigungsreflex gegen alles von außen, gegen alles Fremde. Dieser Geist nistet nicht nur bei den jugendlichen Nazis, sondern in der Mitte der Gesellschaft – die ostdeutsche neue Mitte sozusagen.
Es reicht heute nicht mehr, im Fernsehen Gesicht zu zeigen und von andern zu fordern, sich von den Schlägern eins auf die Nase hauen zu lassen. Es braucht keine guten Ratschläge mehr. Der Westen muss endlich loslassen können. Wir müssen dafür sorgen, dass die Bürger über ihre Chancen selbst bestimmen können. Das fängt nicht bei Aldi, sondern auf dem Arbeitsamt an! In der Bürgerschaft muss ein Gefühl wachsen können, dass man für das, was man für wichtig hält, selbst verantwortlich ist und auch erfolgreich sein kann. Die Gemeinden, in denen ein immer größerer Teil der Bürger ohne Erwerbsarbeit in einer Art gesellschaftsloser Privatheit wohnt, müssen Orte der Politik werden. Dann verschwindet irgendwann das elende Gefühl der Fremdsteuerung, und zwar nicht bei den Jungnazis – das dauert sehr lange –, sondern bei den Eltern.
Vorerst werden wir noch eine Weile in das Gesicht der verkorksten Einheit schauen müssen, und zumindest in diesem Jahr werden wir uns noch anhören dürfen, wie einmalig und großartig alles gelaufen ist. Doch jetzt offenbaren die erfundenen Zwänge, die uns als politische Großtaten zum Wohle der deutschen Einheit verkauft wurden, ihre widerwärtigen Seiten. Die Einigung wurde nicht erstritten, sondern erpresst. Manchmal rächt es sich dann eben anders, als man denkt: Der Widerstand gegen die westdeutsche Hegemonie und die Ausgrenzung der Ostdeutschen als Andersartige kommt mit all seiner stupiden und bierseligen Dumpfheit diesmal eben nicht von links, sondern von rechts. Er macht die Erniedrigten zu deutschen Herrenmenschen und beraubt wiederum andere ihrer Würde. Die Glatzen haben sich fein gemacht, die Einheit zu feiern. Ihr ideologisches Inventar hat der Westen geliefert.
Y. MICHAL BODEMANN und ANDREAS WILLISCH
Hinweise:Die Ostler passen nicht, so wird schnell klar, in das geschmiert laufende demokratische System der BundesrepublikDie Glatzen haben sich fein gemacht, die Einheit zu feiern. Ihr ideologisches Inventar hat der Westen geliefert
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