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Die McLaren-Rolle

Er hat die Sex Pistols erfunden und dem Punk die Hosen genäht: Jetzt wird Malcolm McLaren im Karlsruher ZKM mit „The Casino of Authenticity and Karaoke“ auch als Multimedia-Künstler gefeiert

von RENE AGUIGAH

Irgendwann in der Nacht haben die Saaldiener den Ausstellungsraum geschlossen. Vor der Tür ging die Party weiter, an Drinks nippen und tanzen zu den Housebeats, die die beiden DJs Acid Maria auflegten. Aber wer genug davon hatte, mit den Fingern bloß am Strohhalm zu nesteln, wer noch mal an die Knöpfe der Spielautomaten wollte, um endlich den Score von 750 Punkten zu gewinnen, der hatte verloren. Der Schrein war verriegelt, der Inhalt versteckt vor dem feiernden Volk.

Dabei beherbergt das Medientheater des Zentrums für Kunst und Medientechnologie (ZKM) in Karlsruhe keine Tafelbilder, auch sonst keine Reliquien, sondern Video-Beamer, Leinwände und eben diese Spielautomaten. Nicht besonders schutzbedürftig, könnte man denken, und mitternächtliches Zocken während der Party wäre ein netter Zeitvertreib gewesen. Aber in Wahrheit stehen die Automaten nicht zum Spaß da: Sie sind Kunst, voll gepumpt mit Aura. Dass man nicht spielen kann, wann man will, wertet sie auf – im notorischen Pissoir von Marcel Duchamp konnte man sich ja auch nicht einfach erleichtern.

Der geregelte Zugang ist nicht das einzige Merkmal der Musealisierung. Die Automaten sind Teil einer Installation mit dem ordentlichen Titel „The Casino of Authenticity and Karaoke“. Vor allem haben sie einen prominenten Schöpfer: Malcolm McLaren. Die Pophistoriker sind sich klar über seinen mittleren bis großen Rang, aber uneins über die Rollenbezeichnung. Greil Marcus hat ihn einen „ehemaligen sowie Möchtegern-Anarchisten“ genannt; in seiner Geschichte ist McLaren der Erfinder der Sex Pistols, jene Figur, die die blassen, harten Jungs entdeckt und so professionell vermarktet hat, dass es druckfrische T-Shirts mit dem Konterfei von Sid Vicious zu kaufen gab, kurz nachdem dieser seine Freundin erstochen hatte. Ulf Poschardt konzentriert sich auf den McLaren der Modewelt, der gemeinsam mit Vivienne Westwood auf der Londoner King's Road Klamotten verkaufte, die dann besonders gefragt waren, wenn er sie für untragbar hielt. Ging das Geschäft zu gut, wurde es umbenannt: „Der Laden war Kritik und Avantgarde des Kapitalismus in einem.“

McLaren selbst lässt sich am liebsten „Impresario“ nennen, und noch heute rümpft er angewidert die Nase, wenn man ihn bloß für den „Manager“ der Sex Pistols hält: „Ich habe Missmanagement getrieben – mit Absicht“, sagt er. Im Übrigen seien die Pistols sein Kunstobjekt: „Anstelle von Farbe und Leinwand, Ton oder Bronze habe ich lebende Personen benutzt.“ Es ist nicht so sehr die posthumanistische Kälte, die an diesem Satz provoziert (da ist man heute, zumal aus Karlsruhe, ganz andere Kaliber gewöhnt); viel mehr bleibt ein Verdacht: McLaren hält sich für einen Künstler mit Totalkontrolle über sein Werk, einen souveränen Schöpfer – ein Status, der selbst dem klassischen Maler mit Farbpalette und Staffelei nur ein frommer Wunsch blieb.

Dass McLaren als Künstler, in dieser jüngsten seiner Rollen, erfolgreich ist, kann als beglaubigt gelten. Das New Museum of Contemporary Art in New York hat ihm vor zwölf Jahren eine Ausstellung gewidmet. Und für das „Casino of Authenticity and Karaoke“ ist er gerade mit dem Britischen Multimedia-Preis für die beste Anwendung von Kreativität offline ausgezeichnet worden. In Karlsruhe führt ein kurzer, schwarzer Gang ins Medientheater, es ist dunkel. Ein Blick nach rechts hinten: Da stehen ein paar schmale Glaswände hintereinander, zwischen jeweils zwei Scheiben sind Hosen, Oberteile und Accessoires gepresst. Eine unübertroffen praktische Ausstellungsmethode: Die Stoffe – alles Devotionalien aus King's Road Nr. 240 – sind geschützt, man kann sie nicht anfassen, nur die Nase am Schaufenster platt drücken. Beim Slalom zwischen den Wänden werden die Besucher für Sekunden zu wandelnden Schaufensterpuppen: Wenn sie sich hinter den Scheiben herumdrücken, gibt das Glas den Blick auf Arme und Beine frei; das Licht strahlt von unten.

Doch eigentlich strebt alles zur Mitte. In allen vier Ecken des spielhallenroten Podests steht ein Automat, um jeden drängen sich die Besucher: Routinierte Ausstellungsgänger ganz in Schwarz, 19-jährige Mädchen mit Ellbogentattoos, ein Mann mit ausgewaschener Jeansweste, die ein mächtiger Bierbauch symmetrisch teilt, und ein Berliner mit orange getönter Brille, der immer das eine wissen will: „Was’n das für’n Style?“

Wer lange genug wartet, kann mit dem Leben spielen. Jeder Automat repräsentiert eine Facette McLarens: der Mann als Modedesigner („The Boy in the Lamé Suit“), der Mann als Band-Impresario („Sex Pistols“), der Mann als Solomusiker („D. I. Y. – Do It Yourself“), der Mann zwischen Frauen, Schulfreunden und Mentoren („Erreur Fatale“). Das Arrangement ist durchaus die Fortsetzung der konventionellen Künstlerbiografie – „Leben und Werk“ hätte man es früher genannt –, allerdings mit anderen Mitteln.

Wie bei jedem Spielautomaten regnet es dann Punkte, wenn einem drei gleiche Bilder entgegengucken. Beim „Sex Pistols“-Apparat schießt der Score in die Höhe, wenn die Kaleidoskope drei „Anarchy“-Ikonen zeigen. Aus dem kleinen Lautsprecher röchelt Sid Vicious sein „My Way“, und auf einer Leinwand erscheinen Schnipsel aus der Sun: „Sid Vicious knifes girl to dead“. Gegenüber erzählt ein aufgedunsener McLaren einem Talkshow-Publikum, wie man Leute manipuliert und Penisse auf den Tisch legt. Und in der Mitte laufen künstlich nackte Schönheiten durch das grandiose Video von „Madame Butterfly“ – jenem Song, der Puccinis Arie chartkompatibel machte, lange bevor Luciano Pavarotti mit irischen Rockmusikern Duette sang. Die Automaten sind an die Leinwände gekoppelt, von links, rechts, geradeaus klingen Stimmen, fiepen Synthesizer, flackern Bilder, wechseln Einstellungen im Sekundentakt, je nach Punktestand der Spieler.

Das ZKM-Medientheater ist nicht Spiegel der Seele des Autobiografen, eher ein endlos ratternder Generator von Audiovisionen, vom Zufall ebenso abhängig wie von seinen Spielregeln. Eine „brillante Metapher“ habe er mit seiner Installation gefunden, sagt McLaren im Gespräch, „weil das Leben ein Kasino ist“. Kein Zweifel: Er meint nicht nur sein eigenes, er meint die Welt. Und dann spult er ein ganzes Programm ab: Die Ideologien sind tot, alles ist ein Spiel, alles ist käuflich, jeder kann alles sein, heute Kebabverkäufer, morgen Fernsehschauspieler, seine Arbeit ist die eines Bricoleurs, die Installation ist multimedial, interaktiv und so weiter und so weiter.

„Postmodern“ lautet das gängige Etikett für derartige Schlagwortlisten. Aber an Malcolm McLaren bleibt es nicht haften. Er ist bis an die Zähne bewaffnet mit ästhetisch-soziologischen Theoremen von Diderot über Guy Debord und Lévi-Strauss bis Ulrich Beck, aber der Konsistenz einer Argumentation kann er nichts abgewinnen. Kaum hat er Karaoke zur Weltformel erklärt – „wir bewegen alle den Mund nach den Wörtern von anderen Leuten“ – und diesen Zustand als „sehr demokratisch“ gepriesen, da setzt er auch schon zur großen Klage an: „Überall verlieren die Menschen ihren Sinn für die Wahrheit“, und: „Ich habe immer versucht, mir treu zu bleiben.“ Als McLaren sich vor kurzem (erfolglos) um das Amt des Londoner Bürgermeisters bewarb, galt seine größte Sorge dem „wahren und authentischen Selbst der Hauptstadt“. Und der Preis, der den Karlsruher Besuchern winkt, wenn sie die 750-Punkte-Schallmauer durchbrechen, ist nichts Geringeres als ein originales T-Shirt von Malcolm McLaren – „effektiv mit seinem Schweiß durchtränkt“, wie ZKM-Chef Peter Weibel formulierte.

McLaren schlägt Funken aus der Spannung zwischen dem Loblied auf die umfassende Indifferenz und der Elegie über den Verlust von Aufrichtigkeit. Als er seine Kasino-Philosophie ausbreitet, behauptet er: „Scheitern ist viel interessanter als Erfolg, denn Scheitern macht die Menschen frei.“ Ungläubig zieht man die Augenbrauen hoch, wenn man den arrivierten 54-jährigen Gentleman so reden hört: Ob das nicht eine typische Punk-Attitüde sei? Durchaus, entgegnet McLaren, „und ich bin jetzt nicht weniger Punk, als ich damals war.“ Sagt's und schiebt mit beiden Händen die Sonnenbrille in die Haare. Der performative Widerspruch, in dem er sich befindet, schert ihn offensichtlich einen Dreck: Er sieht aus wie jemand, den Johnny Rotten, dieser erste Punk, vor gut zwanzig Jahren gern zusammengeschlagen hätte. Seine Hose hat bordeauxrote, das Hemd hellrosa Karos, darüber ein feiner Wollpullunder. Beau Brummel lebt, würde der Spießerkater Garfield sagen, wenn er das sehen könnte, und er läge gar nicht so falsch.

Wenn Brummel der erste Dandy war, dann ist McLaren vielleicht der letzte: immer die Nase im Wind der Moden, dabei aber nie epigonal; immer kreativ, dabei aber stets mehr Katalysator als Originalgenie. Sein Element ist die Eleganz des Stofflichen. Und deshalb ragt er in die Sphären des ZKM, das sich ansonsten weniger für die Conditio humana interessiert als für die körperlose „net_condition“, wie ein Künstler aus einer fast verblichenen Zeit. Malcolm McLaren hat tatsächlich eine passende Metapher für sich gefunden. Nicht das Kasino allerdings, sondern jene Vorrichtung, die die kleinsten Einheiten der Spielautomaten zusammenhält: das Kaleidoskop, die Bilderrolle, dieser Streifen, der schier endlos Ikone an Ikone reiht und nur vorübergehend zur Ruhe kommt. Nichts spricht dafür, dass das „Casino“ das letzte Bild von Malcolm McLaren gewesen sein sollte. Er hat nur noch nicht verraten, welches als Nächstes dran ist.

Bis 24. 9., Zentrum für Kunst undMedientechnologie Karlsruhe. Infosunter www.zkm.de oder www.malcolmmclaren.com/casino.html.

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