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Ordentlich? Ja. Aber neu?

Rechtzeitig zum heutigen ersten Länderspiel unter Rudi Völler gegen Spanien halten deutsche Tugenden wieder Einzug ins DFB-Team – nicht mehr als ein Ablenkungsmanöver für Volkes Zorn

von MARKUS VÖLKERund THOMAS WINKLER

Der Libero ist tot, es lebe ...

Die deutsche Tugendhaftigkeit zum Beispiel. Es kommt wieder zusammen, was zusammengehört. Nachdem Erich Ribbeck die Nation mit laschen Trainingseinheiten, allzu smoothen Pressekonferenzen und einem Leck im Autoritären beschäftigte, besinnt man sich nach der Bestellung der Platzhalter Daums, Rudi Völler und Michael Skibbe, auf das deutsche Mantra.

Es mangelte an Ordnung, Disziplin und, nein, nicht an Fleiß, sondern an Seriosität. Das war schnell klar. Michael Rummenigge, der an der Spitze der Task Force geheißenen Bundesliga-Elefantenrunde steht, machte im Barsinghausener Trainingslager eine zielgenaue Punktlandung: „Nach den Vorfällen in Holland müssen wichtige Attribute wieder eingeführt werden: Ordnung, Disziplin und Seriosität.“

1. Richtige Worte

Völler hat mit den Nationalspielern vor dem heutigen Freundschaftsspiel gegen die Spanier in Hannover (ARD, 20.30 Uhr) geredet und sie eingeschworen. Auch ein Detail, das Ribbeck aus den Augen verlor. Die deutsche Nationalmannschaft hat nämlich nicht nur ordentlich, diszipliniert und seriös zu sein, sondern auch sozial. „Rudi hat die richtigen Worte gefunden. Die Mannschaft hat verstanden, dass sie nur dann eine Chance hat, wenn sie als verschworener Haufen auftritt und nicht als Gruppierung einiger Grüppchen“, erkannte Rummenigge.

Diese Grüppchengruppierung führte, so die aktuelle Diktion im DFB, zum niederländischen Fiasko. Diese Interpretation der Ereignisse hat zwei Vorteile: Man muss nicht länger über technisch-taktische Defizite sprechen und kann mit dem alten Personal weitermachen. Was kommt, ist das neue Alte. Und die Attributflut, in der schon ein Sepp Herberger badete.

Bei der Euro 2000 waren die besten Ligaspieler die schlechtesten Nationalkicker. Mit dezenter Verweigerungshaltung und subtiler Kolportation unterhöhlte man das eh papierne Fundament Ribbecks. Trotzdem: Oliver Bierhoff ist jetzt wieder der artige Kapitän und staunt über das Unverständnis seiner italienischen Kollegen, die sich wundern, dass sich die germanischen Balltreiber „gegenseitig in die Pfanne hauen“, und selbst der gemeine Kellner wispert, so hat Bierhoff Volkes Stimme vernommen, er sei enttäuscht von der Nationalmannschaft. Ergo: „Das Wichtigste ist, dass von oben eine Linie vorgegeben wird. Disziplin und Ordnung halte ich für sehr wichtig. Die Mannschaft muss spüren, das eine Richtung gefahren wird“, sagt er diszipliniert und ordnungsliebend.

2. Richtige Frisur

Rudi Völler ist der richtige Mann. Natürlich. An seiner Frisur kann man sich noch ein paar Monate abarbeiten (Völler über Völler: „Was meine Frisur angeht, bin ich Realist.“) Er ist nett und sagt nichts Falsches, wenn er etwa meint: „Die Spieler müssen miteineinander reden.“ Und: „Wir wollen das ganze Drumherum abbauen und etwas normalisieren.“ Überdies hält er den Chefsessel recht warm für Christoph Daum, der sich die wichtigsten Interna apportieren lässt.

Während Völler „symbolische Politik“ (Berliner Zeitung) betreibt, ist Michael Skibbe für die Arbeit auf dem Platz abgestellt. Völler lobt sein Tun: „Es war kein Larifari-Training. Ich hatte das Gefühl, dass die Spieler wissen, worum es geht.“ Um Kompetenzstreitigkeiten vorzubeugen, stellt Rummenigge klar, für „Kader, Training und Taktik“ sei nur einer zuständig: Rudi Völler. Beziehungsweise Daum.

3. Die richtige Frage

Vorerst unbeantwortet allerdings bleibt die wohl alles entscheidende Frage. Die Frage, die nach der EM allenthalben gestellt wurde, als sich die Nation immerhin einig war, dass ein Neuanfang vonnöten sei: Wie geht das denn, Neuanfang?

Die aktuellen Bemühungen, ob nun Schuhputzerdiskussion oder Einzelzimmerabschaffung, haben allein die Funktion, Volkes von der Bild-Zeitung gesteuerten Zorn auf die Wohlstandsjünglinge verrauchen zu lassen. So verhält es sich auch mit den demonstrativ demütigenden Trainingseinheiten, die Skibbe den Nationalkickern während der Tage in Barsinghausen verordnete, um ihre technischen Unzulänglichkeiten aufzuzeigen.

Als Neuanfang kann zumindest durchgehen, dass Daum aus der Distanz schon mal sein Leverkusener System exekutieren und mit drei Abwehrspielern, vieren im Mittelfeld und drei Stürmern antreten lässt. Es geht also aufwärts nach der taktischen Diaspora unter Ribbeck. Und ist es nicht sowieso ein Neubeginn, wenn Lothar Matthäus nicht mehr im Kader steht?

4. Richtiges Personal

Dass diese einzige wesentliche personelle Änderung seit der EM erst durch Matthäus’ endgültig nicht mehr zu vertuschenden physischen Defizite möglich wurde, dafür werden Schattenmann Daum und Büttel Völler dankbar sein. Eine Radikalkur, wie sie der Verantwortliche beim heutigen Gegner Spanien durchzog, wäre kaum möglich gewesen, nicht nur, weil im an die EM anschließenden Dauermantra, es gebe nun mal keine Besseren in der Bundesliga, tatsächlich auch ein wahrer Kern steckt.

José Antonio Camacho dagegen reiste mit wenigen etablierten Kräften in Hannover an. Vom EM-Kader sind nur noch acht Spieler dabei, Konstanten wie Kapitän Fernando Hierro und Torhüter Santiago Canizares mussten zu Hause bleiben. Dabei waren in Spanien bei weitem nicht so vehement wie hierzulande Veränderungen gefordert worden nach dem Viertelfinalaus gegen den späteren Europameister Frankreich.

Doch der deutsche Fußballnationalspieler hat nicht nur ordentlich, diszipliniert, seriös und sozial zu sein. Er muss auch geduldig sein. Karl-Heinz Rummenigge: „Wir werden Geduld haben müssen. Mit Handauflegen ist es nicht getan.“ Das gilt auch und vor allem für die deutsche Öffentlichkeit.

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