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Zündschnur zum Bildgemenge

Zur Demission des Wehrmachtsausstellungs-Machers Hannes Heer: Über den Umgang mit der Fotografie als Dokument oder Illustration

von BRIGITTE WERNEBURG

In die Reihe der rechten Bombenanschläge, die in den letzten Monaten und Jahren für Aufsehen und Entsetzen sorgten, gehört auch ein Anschlag im März 1999 in Saarbrücken. Der Anschlag galt damals der zu diesem Zeitpunkt in der Stadt gastierenden Ausstellung „Vernichtungskrieg. Die Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944“.

Vielleicht, weil Personen nicht zu Schaden gekommen waren, blieb die jetzt so flächendeckend geführte Debatte um rechte Gewalt und rechtsradikale Mobilisierung damals aus, die recht besehen mit diesem Anschlag hätte beginnen müssen. Wenngleich so nicht gewünscht – die von Jan Philipp Reemtsma und seinem Hamburger Institut für Sozialforschung organisierte Wehrmachtsausstellung diente den neonazistischen Zirkeln und Vereinigungen als idealer Sammlungspunkt, zumal sie sich des Vorteils bedienen konnten, dass eine nicht ohne weiteres des Rechtsextremismus verdächtige Öffentlichkeit ihrem bloßen Ressentiment wie ihrem auch begründeten Unbehagen an dieser Dokumentation in teilweise sehr erregten Reaktionen Ausdruck gab. In Saarbrücken hatte etwa vor dem Anschlag der CDU-Landtagsabgeordnete Jürgen Presser in der Saarbrücker Zeitung eine Anzeige gegen die Ausstellung geschaltet, während der damalige Oppositionsführer Peter Müller den Ministerpräsidenten Reinhard Klimmt massiv kritisierte, weil er die Schirmherrschaft der Ausstellung übernommen hatte. Den Mythos von der sauberen Wehrmacht wollten sich nicht nur bekennende Neonazis nicht nehmen lassen.

Umso peinvoller war es dann, dass die sonst so erfolgreiche Ausstellung, die seit ihrem Start 1995 rund 900.000 Besucher hatte, Ende des Jahres vorläufig geschlossen werden musste. Nicht die alten Kameraden und die neuen Nazis erzwangen den Stopp, sondern die Einwände etlicher Historiker gegen die wissenschaftliche Aufbereitung der Schau verfingen. Nun, da mit dem im aktuellen Spiegel annoncierten definitiven Ende der Zusammenarbeit zwischen dem Ausstellungsinitiator und -leiter Hannes Heer und dem Institutschef Jan Philipp Reemtsma eine neue Phase im Drama um die Wehrmachtsausstellung eröffnet ist, lohnt es sich, noch einmal grundsätzlichere Überlegungen zur Konzeption von „Vernichtungskrieg“ anzustellen. Denn der Bruch zwischen Heer und Reemtsma erfolgte an der Frage: Korrekturen in Einzelfällen, wie sie Heer vorschlägt, oder eine grundlegende Überarbeitung, wie sie Reemtsma wünscht?

Nur weil wir solche Aufzeichnungen noch nicht gesehen haben, müssen wir nicht glauben, dass sie nicht existierten – die Privatvideofilme serbischer Milizionäre, auf denen sie sich selbst und ihre Kumpane stolz beim Erschießen, Foltern und Vergewaltigen von muslimischen Männern und Frauen festhielten, beim Abfackeln albanischer Dörfer im Kosovo.

Gebrauch der Fotografie

Die Fotografie, konstatierte Walter Benjamin, zeigt immer an einen Tatort. Daher, so darf man aus seinen Überlegungen folgern, gibt es in der modernen Welt auch keinen Tatort ohne Fotografie. Und keinen Täter ohne das fotografische Bild, das seine Tat beglaubigt. Jedenfalls dann, wenn sich der Täter seiner Tat glaubt rühmen zu dürfen. Es gibt also mit Sicherheit serbische Videofilme, und aus keinem anderen Grund existieren auch jene alten Aufnahmen, die dem Hamburger Institut für Sozialforschung das Material zu seiner Ausstellung lieferten.

Da ist es heute nur konsequent, um auf einen weiteren, in diesem Zusammenhang aufschlussreichen Vorfall der letzten Jahre hinzuweisen, den Tatort mit Hilfe von Fotografie oder Videofilm vorzubereiten. Wie es etwa jene Wehrpflichtigen des Jägerbataillons 571 aus Schneeberg taten, als sie sich 1996 in den Pausen ihres Vorbereitungslehrgangs an der Infanterieschule Hammelburg gleich mal beim Hauptspaß filmten, den sie am Kriegsschauplatz Bosnien-Herzegowina erwarteten: Sie simulierten Vergewaltigungen und Exekutionen von Zivilisten, die sie – wenn nicht gleich natural born killer, so in jedem Fall natural born Medienarbeiter – mit simulierten Werbeeinblendungen garnierten.

Wenn Walter Benjamins Tatortthese richtig ist, dann ist jede Fotografie notwendigerweise kriminalistisch zu lesen. Auch Jan Philipp Reemtsma sprach verschiedentlich davon, dass die Fotos der Wehrmachtsausstellung Tatorte zeigten. Gleichzeitig soll es ihm und Hannes Heer entgangen sein, was dies für die Lesart der Fotografien bedeutete. Verblüfft stellten sie fest, „dass jedes Foto nun für sich selbst einstehen“ musste. Wo doch, so die Macher, die Fotos ursprünglich einen „die Texte stützenden Charakter“ haben sollten.

Hier nun liegt der kardinale Fehler der Ausstellung, der es auch erzwingt, dass nicht die Korrektur, sondern die Neukonzeption der Ausstellung ihre einzige Rettung ist. Denn in ihrer alten Fassung sollten die Bilder illustrativ wirken – eine Aufgabe, für die die Fotografie freilich nur schlecht taugt. Dazu ist sie – trotz aller modischen Vorbehalte gegen ihre Konstruiertheit, trotz des schludrigen Umgangs, den nicht nur die Medien, sondern auch die Geschichts- und Sozialwissenschaften mit ihren Bilddokumenten bis heute pflegen – dann doch zu genau. Illustration ist die exakte Umkehrung dessen, was der Medientheoretiker Benjamin als Eigenschaft der Fotografie beschrieb. Illustration, das ist zugespitzt gesagt: ein paar ungefähr passende Bilder zum Text, die wiederum mit den passenden Unterschriften – zum Text, und keineswegs zum Bild – versehen werden.

Walter Benjamin dagegen war sich sicher, dass ihre Beschriftung – weitergedacht: die Dokumentation zu den Umständen ihrer Produktion, Aufbewahrung und Publikmachung – zum entscheidenden Bestandteil der Aufnahme wird; weil die Beschriftung, wie er in seinem zweiten Pariser Brief schreibt, „als Zündschnur den kritischen Funken an das Bildgemenge heranführt“. Es wäre dieser Satz gewesen, den sich Hannes Heer zu Beginn seiner Planung hätte groß neben seinen Schreibtisch hängen müssen. Denn in der Tat: Nicht alle, die Lunte rochen, waren Feinde des Unternehmens – und wenn es aufgrund einiger falsch gelegter Zündschnüre, also unrichtiger Bildlegenden, nun gleich ganz in die Luft flog, waren es nicht die politischen Gegner, die das bewerkstelligten. Den Stopp erzwangen die Historiker.

Unter ihnen Bogdan Musial, der meinte, dass die Mordaktionen in Zloczow und Tarnopol, die auf das Konto des sowjetischen Geheimdienstes NKWD gehen, fälschlicherweise der Wehrmacht zugeschriebenen wurden, belege die voreingenommene und agitatorische Haltung der Ausstellungsmacher – sie hätten bei genauerer Recherche den richtigen Sachverhalt erkennen müssen.

Lässt man den Vorwurf der Manipulation einmal beiseite, so wiegt das Argument dennoch schwer, denn es zielt auf die indexikalische Eigenschaft des Mediums. Die analoge Fotografie liefert ein Abbild, das an die ursprüngliche Konstellation erinnert, zum Zeitpunkt, als die Linse sich auf das Geschehen richtete und der Film belichtet wurde.

Alle Fotografien, die beispielweise bei einer bestimmten Erschießung gemacht wurden, zeigen eben die gleiche Szenerie. Ist man sich über die Datierung und Verortung einer solchen Szene also nicht sicher, ist es geraten, nicht zuerst nach Texten zu suchen, die Aufschluss über das Ereignis geben, sondern nach weiteren Fotografien. Sind diese Bilder in einem anderen Archiv vorhanden, wird man sie schnell identifizieren können – auch dann, wenn sie möglicherweise eine ganz andere Bildunterschrift tragen. Das ist nun der eigentlich interessante Fall der Fotografie: Trotz unterschiedlicher textlicher Interpretation weiß man meist sofort, dass man das gleiche Geschehen vor sich sieht. Dann ist es freilich nicht in das Belieben des Historikers gestellt, zu entscheiden, welche Bildlegende er übernimmt.

Bescheid wissen heute

Bescheid wissen heißt in unserer Zeit, Abbilder, Zeichen zu haben, die, wie Benjamins Zeitgenosse Siegfried Kracauer meinte, „an das Original erinnern mögen, das zu erkennen wäre“ – auch und gerade weil dies im alltäglichen Gebrauch gar nicht gewünscht ist. Denn im alltäglichen Gebrauch kommen aus ganz unterschiedlichen Quellen, Fernsehen, Zeitungen und Zeitschriften, die Bilder auf uns zu, die für uns als bei gleicher Gelegenheit entstandene identifizierbar sind – ohne identisch sein zu müssen. Wir nehmen diese Bilder daher als Beleg. Im Alltag einer freien Presse und unzensierter Medien geben wir uns damit zufrieden, letztlich zu Recht. Ja, wir lassen uns auch mal rein illustrative Bilder verhökern, etwa, wenn eine Fernsehanstalt mangels aktueller Bilder Archivbilder von früheren Erdbeben in der Türkei sendet – zynisch gesprochen: Sieht ja eh immer gleich aus.

Nun mögen auch die Verbrechen der Wehrmacht immer gleich aussehen, so wie die Verbrechen der Wehrmacht und die des NKWD, aber gerade diese Gleichförmigkeit erzwingt es, dass die Historiker an der Stelle des Fotografen „die Schuld auf seinen Bildern aufzudecken und den Schuldigen zu bezeichnen“ haben, wie es Benjamin forderte.

Nun kam Hannes Heer, der mit seiner Ausstellung ja den Beweis erbringen wollte, „dass die Wehrmacht an allen Verbrechen aktiv und als Gesamtorganisation beteiligt war“, nirgendwo auf die Fotografie und ihre Funktion innerhalb der Ausstellung zu sprechen. Zwar tagte das Reemtsma-Institut schließlich doch noch im Juli 1999 zum Thema „Das Photo als historische Quelle“; das Seminar konnte die Frage nach ihrer Funktion innerhalb der Wehrmachtsausstellung freilich nicht geklärt haben. Sonst wäre klar gewesen: Mit nur einer Korrektur der Bildunterschriften ist es hier nicht getan. Hier muss das Foto als Dokument eigenen Rechts gewürdigt werden, und nicht lediglich als Beigabe und Illustration.

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