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Ruuuuuuuuudi ist wieder da

Pünktlich zum Neuaufbau des DFB-Teams kommt eine spanische Nationalmannschaft gerade recht, die sich dem Wertewandel nicht in den Weg stellen will. Bleibt die Frage: Was bedeutet das 4:1?

Die vermeintliche Notlösung, geboren in einer Kölner Villa, wächst und wächst

aus Hannover MARKUS VÖLKER

Dieses Spiel hatte seine Allegorie – auf der Expo. Denn in der inoffiziellen Pavillon-Wertung führt Deutschland gegen Spanien 4:1. Wie auf dem Hannoverschen Fußballfeld auch. Also erzählen wir die Geschichte des Spiels zunächst auf der Weltausstellung.

Vor dem deutschen Pavillon stehen viele Menschen. Sie sind erwartungsvoll. Sie dürsten nach guter Unterhaltung. Deswegen harren sie lange aus. Doch zunächst ist da nur eine Baustelle, in der sie nutzlos herumstehen. Man hält Ausschau nach einer Betonmischmaschine, wird aber nur von Gipsköpfen angeglotzt. Das sind alles wichtige Deutsche. Viele sind unbekannt, weil selbst der Sprecher von Käpt’n Blaubär modelliert wurde. Jürgen Sparwasser ist auch da. Kein Beckenbauer. Die Baustelle ist in Wirklichkeit eine „Ideenwerkstatt“, wie es heißt. Dann wird die Meute in ein Großraumkino geschleust. Filmchen werden abgespult, die sagen: Der Deutsche ist nett und gut und weltoffen, weil in diesem Land selbst finstre Hartmetaller einer Oma helfen und eine junge Frau unverhüllt vor einem Fenster spaziert, das, wenn es aufgemacht wird, nicht auf die Mietskaserne gegenüber, sondern aufs Weltall geht. Der deutsche Pavillon trägt das Motto: „Brücken in die Zukunft.“ Man klatscht. Die Besucher sind eingenommen.

Die spanische Halle ist nicht weiter der Rede wert. Sie ist ein großes uneingelöstes Versprechen. Außer der Mitteilung, die Spanier seien die weltweit eifrigsten Organspender und man sei sehr stolz auf unseren entferntesten Vorfahren, den Homo Antecesor, gefunden in der Sierra de Atapuerca, bleibt nichts haften von Wert.

Konsequent, dass die Spanier im ausverkauften Niedersachsenstadion einen atavistischen Kick hinlegten und der deutschen Nationalmannschaft Gelegenheit boten, sich zu rehabilitieren, zu profilieren, zu stabilisieren. Mehmet Scholl sagte: „Man darf nicht vergessen, wir haben die Spanier zu einem Zeitpunkt erwischt, wie wir in Mexiko erwischt wurden.“ Also kalt. Eiskalt. Die Iberer spielten aus dem Training heraus. Ihre Saison läuft noch nicht. Sie trotteten gemächlich übers Feld. Bis zu seinem Tor war Raúl, einer der teuersten Fußballspieler, nicht auszumachen. Die Abwehr mit Abelardo und Campo überzeugte durch gespielte Lässigkeit.

Und die DFB-Mannen? Sie waren nach anfänglicher Nervosität enthusiasmiert in der sauerstoffhaltigen Atmosphäre des La-Ola-durchwellten Rundes. „Ruuuuudi“, schrien die Fans zu Beginn, am Ende auch, nur noch lauter. Sie hatten ihre alten Leibchen von Völler als Spieler, der nun Interimsteamchef ist, herausgekramt. Stolz trugen sie die Nummer 13 von Bayer Leverkusen zur Schau. Der Fußball hat demnach einen neuen Helden. Die vermeintliche Notlösung, geboren im Salon einer Kölner Villa, wächst, wird groß und größer.

Halt! Völler möchte auch nach dem gelungenen Einstand auf Normalmaß bleiben. „Es gibt nichts zu feiern“, sagte er, „ich will bremsen.“ Die EM sei durch ein gutes Spiel nicht vergessen gemacht. „Da müssen weitere folgen. Glaubt mir, ich bin schon lange im Geschäft, beim nächsten Spiel gilt dieses Ergebnis nicht mehr.“ Zumal sich der Stand der Dinge nicht an den Spaniern messen ließ.

Doch die Zuschauer spürten etwas. Eine Veränderung. Keine, die sich im Kader niederschlug, sondern die mit einem, sagen wir, Wertewandel einherging. Völler bemerkte, dass die Deutschen ihr „Lieblingskind“, das DFB-Team, wieder gefunden haben. „Das ging in den letzten Jahren verloren.“ Die Verantwortung für diesen Wandel wird nun Völler angerechnet. Mehmet Scholl tat kund, Völler, die „Respektsperson“, der mit dem „anderen Standing als Erich Ribbeck“, habe klar gemacht, dass es um den deutschen Fußball gehe. „Schön, dass er da ist.“ Völlers Replik: „Immer wieder habe ich Wille, Einsatz, Engagement gepredigt.“

Ein Bemühen, das ein paar reife Früchte trug, wie Oliver Kahn zu berichten wusste. Die neu formierte Dreierkette mit Nowotny, Rehmer und Heinrich erschien ihm „sehr kompakt“, jedoch räumte Jens Nowotny ein, man habe sich nur auf die Defensive konzentriert, eine „hohe Disziplin gezeigt“ und Angriffe tunlichst gemieden. Dafür war ja der Angriff aus dem Hause Bayern Münchens zuständig. Jancker erhakelte sich das 1:0, das Scholl per Freistoß vollendete. Und dann war da noch jener Alexander Zickler, dem momentan die perfekte Synopse aus Schnelligkeit, Ballvortrieb und Torschuss gelingt. „Dass es so klappt, ist schon unheimlich“, sagte er.

Gerhard Mayer-Vorfelder hofft nun, „dass die Sache mit dem Rumpelfußball keine Rolle mehr spielt“. Der DFB-Vize offenbarte eine „wahnsinnige Freude“ am Völlerschen, Skibbeschen Tun („Das sind Leute, die das schon richtig machen, so modern“), wies aber gleichzeitig auf den „Teppich der Realitäten“. Auf dem steht nun eine Nationalmannschaft, die sich in der Aura einer Verlegenheitslösung aufrichtet, Selbstbewusstsein akkumuliert, aber spielerisch so schlau ist als zuvor.

Wie hieß es doch sogleich im Programmheft des deutschen Pavillons auf der Expo? „Das Bild unseres Landes ist das Bild eines Augenblicks. Und weil wir dies Land verbessern, müssen alle, die es gestalten, auch in Zukunft daran arbeiten.“ Brecht hat das angeblich gesagt. Rudi Völler sowieso.

Deutschland: Kahn - Rehmer, Nowotny, Heinrich ( 67. Linke) - Deisler, Ramelow, Ballack (79. Hamann), Bode (46. Beinlich) - Zickler, Jancker (73. Rink), Scholl (66. Neuville)Spanien: Cesar - Velasco (46. Manuel Pablo), Abelardo, Paco (46. Ivan Campo), Juanfran - Etxeberria (65. Rufete), Gerard (46. Guti), Guardiola, Mendieta (46. Victor) - Raúl, Dani (75. Tamudo)Zuschauer: 45.000, Tore: 1:0 Scholl (24.), 2:0 Scholl (50.), 3:0 Zickler (57.), 4:0 Zickler (62.), 4:1 Raúl (69.)

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