: Dänische Entgiftungskur fürs Benzin
Ölkonzern Shell verzichtet auf den umweltschädlichen Benzin-Zusatz MTBE – aber nur in Dänemark. Europaweit spielt die Mineralölindustrie auf Zeit. Experten kritisieren, dass auch deutsche Behörden das Problem noch immer unterschätzen
von REINHARD WOLFFund MATTHIAS SPITTMANN
Der Beschluss der dänischen Regierung, auf Superbenzin mit dem giftigen Zusatz MTBE eine Sondersteuer zu erheben, zeigte rekordschnell Wirkung. Nur wenige Wochen nach dem Beschluss (siehe taz vom 1. August) erklärte der dänische Shell-Marktchef Leif Kierkegaard, man werde künftig auf MTBE verzichten – europaweit. Innerhalb von drei Jahren soll der Blei-Ersatzstoff verschwunden sein. Die norwegische Statoil kündigte unmittelbar nach Shell einen ähnlichen Schritt an, der dänische Mineralölverband erarbeitet nun einen Abwicklungsplan.
Innerhalb des Shell-Konzerns dagegen gibt es Widerstand; und ein Kommunikationsproblem. Kierkegaards Aussage, der MTBE-Ausstieg gelte europaweit, wird in Deutschland dementiert.
Die Ölbranche tut sich schwer mit dem MTBE-Problem. Der dänische Vorstoß, MTBE aus den Kraftstoffen zu verbannen, hatte als erste Reaktion ein „unnötig und unmöglich“ der Ölbranche ausgelöst. An die Spitze der MTBE-Lobby hatte sich die „European Fuel Oxygenates Association“ (EFOA) gesetzt, der Verband der Produzenten dieses und anderer Benzinzusatzstoffe. Man beauftragte eine dänische PR-Firma mit einer Kampagne gegen das MTBE-Verbot, weil man einen Nachahmungseffekt in ganz Europa fürchtete. Noch bevor die Methyl-Tertiär-Buthylether-Freunde so richtig in Gang kamen, entschloss sich die nordische Mineralölbranche, keinen Imageverlust zu riskieren.
Im Rest Europas verlassen sich die Öl-Manager dagegen offensichtlich darauf, dass MTBE weiterhin kein Aufsehen erregt. Während in den USA Anfang September ein MTBE-Totalverbot im Umweltausschuss des Senats verhandelt wird, droht hierzulande von staatlicher Seite keine Gefahr: „Wir sehen hier keinen dringenden Handlungsbedarf“, sagt Stefan Rodt, Fachgebietsleiter beim Umweltbundesamt (UBA). Was hiesige Experten verärgert. „Ich finde es sehr verwunderlich, dass das UBA so klare und eindeutige Entwarnung zum Thema MTBE gibt“, sagt Wilhelm Püttmann von der Universität Frankfurt/Main. Er hat in Zusammenarbeit mit der Behörde über den Benzinzusatzstoff geforscht. „Wir haben auch in Deutschland unterirdische Tankleckagen mit hohen MTBE-Konzentrationen.“ Damit widerspricht Püttmann dem UBA-Standpunkt, es gebe nur sehr wenige Verunreinigungen. Das Problem sei, sagt Püttmann, dass auch bei Verdacht auf Belastungen durch Benzin gar nicht erst auf MTBE untersucht werde. „Und was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß.“
Dennoch habe man in Deutschland in der Nähe von Tankstellen Belastungen mit dem grundwasserschädlichen MTBE von mehr als 20 Mikrogramm pro Liter gefunden – das entspricht dem in den USA diskutierten Grenzwert.
Sollte auch hier eine Debatte entstehen, würde Rainer Winzenried, Sprecher der deutschen Shell, seine grauen Zellen anwerfen: „Wenn es beim MTBE zu einer anderen Bewertung führt, dann wird man noch mal nachdenken müssen.“ In Deutschland seien alle Zapfstellen saniert, von daher gäbe es keinen Grund, auf MTBE zu verzichten.
Im Raum Kopenhagen dagegen hat Shell reagiert: Hochoktaniges Superbenzin, für das vor allem MTBE eingesetzt wurde, soll langsam aus dem Verkehr gezogen werden. Das 98-oktanige Super-Plus wird es bis Ende 2001 nur noch an maximal der Hälfte (Shell) oder „weit weniger“ (Statoil) der dänischen Tankstellen geben. Shell bietet stattdessen MTBE-freie Zusätze zum Selbermischen mit 95-oktanigem Superbenzin an. Denn Fahrer von – vor allem älteren – Autos, deren Motoren ohne hochoktaniges Antiklopfgesöff gefährliches Klingeln droht, können damit die Einschränkung des Super-Plus-Angebots auffangen.
Die internationale Shell-Zentrale in London war zwar über das dänische Vorgehen informiert. Die Aussage, dass MTBE aus 95-oktanigem Super-Benzin verschwinden wird, wurde bestätigt – aber eben nur für Dänemark. Im Rest Europas würde man ein „Auslaufen“ der MTBE-Beimischung unterstützen. Konkret passiert aber noch nichts. Kuriose Begründung: Ein Ersatz sei derzeit nicht möglich.
Auch in diesem Punkt scheint man im Norden weiter zu sein: Nach Aussage von Lene Bonde, Pressesprecherin der skandinavischen Benzinfirma OK, könnte MTBE sofort aus den Treibstoffen verschwinden. „Die Benzingesellschaften müssten nur bereit sein, etwas mehr zu zahlen.“
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