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Legal, scheißegal

Die Alltagsdroge Alkohol ist gefährlicher als Cannabis. Trotzdem wird die Sucht toleriert, auch am Arbeitsplatz

Die Beschuldigten sind anonym. „Richter R. trinkt im Dienst und fällt seine Urteile unter Alkoholeinfluss“, heißt es in einem Schreiben, das die Redaktion erreichte – ohne Absender oder genauere Angaben. In einem anderen Brief wird – ebenfalls anonym – ein Mitarbeiter der Ausländerbehörde beschuldigt, Asylverfahren „im alkoholisierten Zustand“ zu bearbeiten. Einzelfälle oder die Spitze des Eisberges?

Fakt ist, dass das Thema Alkohol am Arbeitsplatz meist unter den Teppich gekehrt wird – so lange nichts passiert. Als ein Schiffsarzt der Bundeswehr gegenüber der taz sagte, dass es unter Berufssoldaten „massenhaft Alkoholiker“ gibt und dass das Problem „verschwiegen wird, bis etwas passiert“, bekam er großen Ärger mit seinen Vorgesetzten.

Bundesweit gibt es rund 92.000 Fälle von Arbeitsunfähigkeit und Invalidität infolge von Alkoholabhängigkeit und Alkoholpsychosen. Jedes Jahr sterben deutschlandweit etwa 42.000 Menschen an Alkoholkonsum. In Berlin gab es im vergangenen Jahr 746 Alkoholtote. Die Ärztekammer hat Ende Juni auf dem Welt-Drogentag gewarnt: „Schluss mit der Verharmlosung von Alkohol!“. Obwohl der Missbrauch Familien zerstöre und die Betroffenen in den Ruin treibe, „wird die Alltagsdroge Alkohol in unserem Land konsequent verharmlost“, kritisierte der Präsident der Bundesärztekammer, Jörg-Dietrich Hoppe.

„Man kann das Thema Alkohol am Arbeitsplatz nur offensiv angehen“, sagt Hans-Jürgen Knoblich, Betriebsarzt bei der Bewag. Seit vielen Jahren schon führt das Unternehmen Seminare für leitende Angestellte durch, in denen sie über die Problematik aufgeklärt werden. „Wir sind ein Spiegelbild der Gesellschaft“, so Knoblich, „Alkohol ist ein Problem in der Gesellschaft, warum nicht auch bei uns?“ Im letzten Geschäftsjahr hat das 1999 noch 8.000 Mitarbeiter zählende Unternehmen sechs klinische Entgiftungen und zwei Langzeittherapien vermittelt. Außerdem fanden 127 Orientierungs-, Beratungs- und Nachsorgegespräche statt. Nach Angaben von Knoblich ist die Rückfallquote von 20 Prozent sehr gering. Ein generelles Alkoholverbot in Großunternehmen hält der Betriebsarzt für nicht durchsetzbar. Deshalb gelte die Devise: „Ein Verbot gilt nur dort, wo andere gefährdet sind.“

Auch die Technische Universität nimmt sich des Themas bereits seit Mitte der 80er-Jahre an. Nachdem wiederholt Mitarbeiter an ihrem Arbeitsplatz aufgefallen waren, wurde ein „Arbeitskreis Alkohol“ gegründet. Das Anliegen: „Offenheit innerhalb dieses Problemkreises herstellen, ohne den Schutz der betroffenen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zu vernachlässigen“. In mehrmals im Jahr stattfindenden eintägigen Seminaren sollen vor allem Vorgesetzte die Möglichkeit bekommen, sich über das Thema zu informieren. Doch: „Die Bereitschaft, an den Seminaren teilzunehmen, ist sehr zurückhaltend“, so das Fazit der Betriebsärztin Sabine Berten. „Die Leute gucken zu sehr weg aus falsch verstandener Kollegialität.“ Zwar regelt eine innerbetriebliche Vereinbarung den Umgang mit Alkoholerkrankten. Doch die Umsetzung erfordere die Kooperation aller. „Sonst kommen wir nicht weiter.“

Wie wenig offensiv mit dem Thema „Alkohol am Arbeitsplatz“ umgegangen wird, zeigen die Stellungnahmen anderer Einrichtungen: Bei der Polizeipressestelle beispielsweise heißt es lediglich: „Bei uns herrscht absolutes Alkoholverbot im Dienst, aber wie überall wird es einige geben, die sich nicht daran halten.“

Die Pressesprecherin der Deutschen Hauptstelle gegen Suchtgefahren (DHS), Christa Merfert-Diele, kritisiert, dass das Thema noch immer ein Tabu in der Gesellschaft ist. Das sei „das größte Hemmnis“. Weil niemand als „Kameradenschwein“, unkollegial oder illoyal gelten wolle, werde viel vertuscht. „Das gilt in allen Berufsgruppen“, betont sie. 1978 führte die DHS in Berlin die erste Tagung „Suchterkrankung am Arbeitsplatz“ durch. Erst zehn Jahre später folgte die nächste Tagung zu dem Thema. Die Teilnehmerzahl von 1.500 – Rekord aller DHS-Tagungen – zeigt das große Interesse an der Materie. Im November findet in Karlsruhe die nächste Tagung unter dem Thema „Sucht und Arbeit“ statt. BARBARA BOLLWAHN DE PAEZ CASANOVA

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