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kamasutraZähne zählen!

Diesen Sommer stellen taz-KorrespondentInnen in loser Folge ihre berückendsten und bedrückendsten Fernseherfahrungen und TV-Highlights aus aller Welt vor. Heute: Indien.

Wie viele Zähne hat ein Mensch? Eine schwierige Frage? Kein Problem: Quizmaster Amitabh Bachhan und das Publikum im Saal helfen der schwitzenden Kandidatin nach Kräften.

Natürlich könnte die Kandidatin mit der Zunge rasch ihre Zähne abtasten und zu zählen beginnen. Aber wer weiß, ob sie noch Alle hat? Und überhaupt ist die Spannung zu groß, geht es doch um die stattliche Summe einer „Crore“ – zehn Millionen Rupien, umgerechnet eine halbe Million Mark. Da ist es wichtiger, auf die Zähne zu beißen, als sie zu zählen.

„Kon Banega Crorepati?“ („Wer wird ein Millionär?“) ist Indiens populärste TV-Unterhaltung dieses Sommers. Viermal in der Woche, jeweils zu bester Sendezeit um neun Uhr abends, läuft die Quizsendung und lockt vierzig Prozent des Kabelpublikums vor die Apparate. Bei rund 65 Millionen Kabelanschlüssen sind dies ein paar Dutzend „Crore“ Leute, und dies lässt bei Star TV die Kassen klingeln. Die Quizshow war ein Verzweiflungsakt des Murdoch-Senders.

Star war der erste indische Privatsender nach der Aufgabe des staatlichen TV-Monopols. Doch in den bald zehn Jahren seines Bestehens hat er trotz seines großen Marktanteils nur Verluste produziert. Und seit einigen Jahren haben Billigsender wie Zee TV und Sony TV mit ihren pausenlosen Hindi-Filmschinken dem Sender immer mehr Zuschauer weggenommen. Der Sender sparte keine Kosten, um das Steuer herumzuwerfen. Die Investition für die 130 Sendungen liegen bei 750 Millionen Rupien. Nirgends wurde gespart – Hunderte von Telefonlinien wurden eingerichtet, um Millionen von Telefonanrufen abzufertigen, das Studio wurde mit importierten Anlagen aufgerüstet, und allein für den Quizmaster Amitabh Bachhan, einen alternden Superstar von „Bollywood“, legte Murdoch 130 Millionen Rupien auf den Tisch. Der Erfolg gibt ihm Recht. Die Einschaltquoten erlauben es der Firma, für jede Werbesekunde mehrere Millionen zu verlangen – und die Produzenten von Seifen, Fahrrädern und Mückenvertilger rangeln sich förmlich um Sendeplätze.

Quizsendungen sind auch in Indien nichts Neues. Doch die Formel der Starstrategen zeigt psychologisches Gespür. Denn im Gegensatz zu den Fachidioten eines „Mastermind“ hat bei dieser Mischung von Glück und Wissen auch ein Durchschnittsmensch die Chance, reich zu werden. Die Sendung appelliert an den Mann, der kaum eine Grundschule hinter sich gebracht hat. Er ist kaum die Person, zu der man aufschaut – aber mit dem man sich, millionenfach, identifiziert. Ebenso wie mit dessen sehnlichstem Wunsch, gegen die Widrigkeiten der alltäglichen Armut doch noch reich zu werden – und dies schnell. Schließlich geht es, in typisch indischer Gangart, nicht um „alles oder nichts“.

Der Kandidat kann sich zu jeder Zeit aus dem Preiskampf verabschieden und das bisherige Preisgeld mit nach Hause nehmen. Dies ist vielleicht der Grund, warum die Show noch keinen echten Millionär produziert hat. Denn wer will schon ein „Crorepati“ werden, wenn zu Hause eine „Crore“ Bekannte und Verwandte auf seine Rückkehr warten?BERNHARD IMHASLY

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