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Die argentinische Hackordnung

Urlaub auf Argentinisch ist eine Frage des Formats: Sag mir, an welchem Strand du baden gehst, und ich sag dir, wer du bist!

Lifestyle-Produkt Urlaub. In unserer Sommerserie stellen taz-Korrespondenten grenzübergreifend Reisestile vor. Denn zwischen Wanne-Eickel und Buenos Airesändern sich nicht nur Destinationen, sondern auch Gewohnheiten. Heute: Wenn Argentinier reisen

von INGO MALCHER

Da in Argentinien die Uhren anders gehen, ist der August nicht der Hauptreisemonat. Im August sind in Argentinien drei Wochen Winterferien. Wer kann, flüchtet in die Sonne. Und dafür fliegt man weit. Mindestens bis nach Rio de Janeiro.

Wer genug Geld hat, etwas auf sich hält und in der Regel im reichen Norden von Buenos Aires wohnt, der fliegt dieses Jahr im Winter in die Karibik – nach Möglichkeit mit Shopping-Stop-over in Miami. Braun gebrannt, einen Strohhut auf dem Kopf und neue Nike-Schuhe an den Füßen, strömen die Urlauber daheim wieder aus dem Flugzeug. Mit ihren unzähligen Duty-free-Tüten, gefüllt mit Parfüms, Pralinen und Whiskyflaschen. Kaum angekommen, legen sie Hab, Gut und Schicksal in die Hände einer Gruppe räuberischer Taxifahrer.

Räuberisch, weil seit der Privatisierung des Flughafens die Taxifirmen für die Fahrt ins Zentrum ahnungslosen Reisenden 80 Mark plus 5 Mark Autobahngebühr abknöpfen. Wer sich nicht schröpfen lassen will, spaziert samt Gepäck durch die Ankunftshalle, bis er „Psstpssst, Mister, Taxi, Taxi, good price!“ hört. Immerhin, für 60 Mark insgesamt geht’s auch.

Anders reist man im Land. Zum Beispiel zu den Iguazú-Wasserfällen im Dreiländereck, wo Argentinien, Brasilien und Paraguay nur durch Iguazú und Paraná voneinander getrennt werden. Die Wasserfälle sind ein gigantisches Naturschauspiel; aus harmlosen Bächen werden gewaltige Wassermassen, die tosend die Schlucht herunterbrechen. Am Ufer dichter Urwald mit Papageien und Affen. Nachteil im August: Im argentinischen Winter ist es zwar warm, aber regnerisch. Außerdem hat man sich nach drei Tagen satt gesehen und langweilt sich.

Aber Argentinien verfügt über mehrere Klimazonen und hat damit mehr zu bieten. Wer’s gerne weiß mag und goldener Ehrenkunde bei seiner Kreditkartenfirma ist, fliegt ins verschneite Bariloche. Bariloche lockt wie Las Lenas in Mendoza mit unendlich langen Skipisten und zuckerweiß bedeckten Andenkuppen. In den Skiklausen gibt es das, was dem Argentinier am besten schmeckt: Fleisch. Zubereitet wie zu Hause in Buenos Aires. Das hat einen Vorteil: Man verliert keine wertvolle Urlaubszeit mit dem Studium der Speisekarte.

Das Hotel Llao Llao, traumhaft gelegen, gilt als eines der besten Hotels Argentiniens und wirbt in Bariloche unter der Woche mit einem Sonderangebot: 220 Mark pro Nacht und Person bei Doppelbelegung des Zimmers. Kleiner Intelligenztest im Reisebüro, bevor es einem die Sprache verschlägt: 440 Mark pro Nacht ist nicht gerade das, was man sich unter einem „Sonderangebot“ vorstellt, auch nicht mit Frühstück, zumal das so üppig auch wieder nicht ist.

Denselben Trick versucht gerade auch das Hotel Conrad im uruguayischen Strandbad Punta del Este. Doch zum Baden ist es derzeit wirklich zu kalt. Wer ein Faible für ausgedehnte Strandspaziergänge hat, dem sei hierzu geraten. Aber eigentlich wird der Ort erst im Hochsommer, also im Dezember, Januar und Februar, interessant. Dann gibt sich die argentinische Oberschicht hier die Klinke in die Hand. Wer Sonnenbaden unter dünner UV-Schicht billiger haben will, bleibt dann im Land und fährt nach Mar del Plata oder Villa Gesell. Ebenfalls exklusiv ist, nur wenige Kilometer weiter, Pinamar.

Die Strandquartiere haben eine bestimmte Hackordnung: Untere Mittelklasse und Bewohner der Provinzen sonnen sich in Mar del Plata. Wer es lockerer mag, steuert Villa Gesell an. Und wer sorglos Geld ausgeben kann, der kehrt in Pinamar oder Punta del Este ein. Sag mir, an welchem Strand du liegst, und ich sage dir, zu welcher Klasse du gehörst.

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