: In Richtung Hollywood
Zhang Yimou: Heimweg ohne Tiefgründigkeit ■ Von Doro Wiese
Zhang Yimou ist einer der bekanntesten chinesischen Regisseure, dem gleichzeitig internationaler Erfolg nicht verwehrt blieb. Als Mitglied der fünften Generation chinesischer Filmschaffender revolutionierte er die Filmsprache zunächst als Kameramann und später in eigenen Regiearbeiten. Das rote Kornfeld (1987), Judou (1990) und Rote Laterne (1991) wurden in Berlin, Cannes oder Venedig preisgekrönt. In diesen Filmen arbeitet Yimou daran, entlang allegorischer Darstellungen eine Kritik an der politischen Entwicklung Chinas in diesem Jahrhundert zu leisten.
Sowohl der Feudalismus der Kaiserzeit, die japanische Besatzungszeit als auch die kommunistische Machtübernahme werden beispielsweise in Das rote Kornfeld als einengende Systeme geschildert. Das gelingt Yimou durch seine stark symbolbildene Kamerasprache, in der Raum-, Licht-, und Farbgestaltung Aufbruch und Stillstand verdeutlichen. Eine gewaltsame Einengung der gesellschaftlichen Räume ist in den frühen Filmen deutlich ausformuliert.
In seinen neusten, ebenfalls preisgekrönten Filmen Heimweg (1999) und Keiner weniger (1999) wendet sich Yimou jedoch von seiner verschlüsselten Gesellschaftskritik ab, die ihm mehrmals das Tätigwerden der chinesischen Zensur eintrug. Die Bildwelten, die in beiden Filmen zur Darstellung gelangen, sind zwar ungemein eindrucksvoll. Aber eine zweite, symbolische Ebene ist in ihnen nicht angelegt. Befreit von der Last einer gesellschaftlichen Aufarbeitung nimmt die Kamera die Schönheit der Landschaft auf und überlässt es der Erzählung zu fabulieren.
Während Keiner weniger ein Lehrstück über Freiheit und Solidarität erzählt, steht in Heimweg eine zarte Liebesgeschichte im Vordergrund: Ein Pfad zwischen einer Kleinstadt und einem Dorf nimmt dort ungeahnte Bedeutung an. Der Leichnam des verstorbenen Dorfschullehrers Changyu (Zheng Hao) soll auf Wunsch seiner Frau Zhao Di (Zhao Yuelin) entlang dieses Weges zu seiner Wirkungsstätte zurücktransportiert werden. Sohn Yusheng (Sun Honglei Luo) versteht zunächst das Anliegen seiner Mutter nicht. Erst als er sich der Liebesgeschichte seiner Eltern erinnert, wird ihm klar, warum dieser Weg eine immense Bedeutung für seine Eltern hatte. Denn die junge Zhao Di (Zhang Ziyi Luo) wartete dort oftmals auf das Erscheinen von Changyu, auf den sie ein Auge geworfen hatte. Entlang einer langen Rückblende widmet sich der Film dieser erwachenden Liebe, in der überraschenderweise gerade das Begehren der Frau verdeutlicht wird. Denn es ist Zhao Di, die dem Verehrtem nachstellt und für Möglichkeiten des Zusammentreffens sorgt.
Im Hinblick auf die formalen Mittel, mit denen Yimou die Gefühlsintensität der Liebenden zum Ausdruck bringt, lässt sich eine starke Annäherung an eine westliche Tradition der Filmsprache ausmachen. Durch ein ausgeprägtes Schnitt- und Gegenschnittverfahren werden die ZuschauerInnen mit dem begehrenden Blick Zhao Di's auf ihren Angebeteten vertraut gemacht; Großaufnahmen und halbtotale Einstellungen sorgen für emotionale Nähe zu ihren Gefühlen. Daher ist die perfekte und von aller Hintergründigkeit gereinigte Kameraführung und Schnittechnik bestes Hollywood-Melodramen-Kino. In diesem Sinn sind Äußerungen Yimous, in denen er sich gegen eine Verwestlichung der chinesischen Gesellschaft wendet, äußerst zweideutig. Denn obwohl sich die erzählten Geschichten auf chinesische Traditionen, Vorstellungen und Probleme beziehen, ergeben sich für westliche Augen keinerlei Stolpersteine hinsichtlich ihrer formalen Umsetzung. Der Zauber einer Symbolik, die in ihrer Verschlüsselung zu Auseinandersetzung anregt, ist einer Einfachheit und Gradlinigkeit gewichen, in denen die großen formalen Stärken Yimous bedauerlicherweise verschwunden sind.
Heimweg: Preview heute, 20 Uhr, Abaton; Keiner weniger: läuft seit 10.8., Abaton
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen