kabolzschüsse: Auf der Suche nach Berlins randigster Randsportart
Highland Games
Ehrfurchtsvoll, beladen mit Eindrücken aus Romanen und Filmen überqueren Besucher die Brücke über den Wassergraben am Spandauer Zitadellenhof. Ein Gang in die Vergangenheit, direkt in eine Welt fernab zeitgenössischer Turnhallenarchitektur, in eine filmreife Kulisse. „Es kann nur einen geben“, schreit ein Jüngling seine Phantasien über das Wettkampfareal. Dieser cineastische, sagenumwobene Satz steckt in jedem der Baumstammwerfer, Steinstoßer und Gewichthochwerfer dieses 900 Jahre alten Mehrkampfs aus dem schottischen Hochland. Die Staturen der archaischen Wettkämpfer strahlen mit jedem Fleischberg mehr das Stückchen Einzigartigkeit aus, dass jemanden für die Ausübung dieser Sportart qualifiziert. Groß, schwer und übermenschlich stark. Modellathleten im ganz eigenen, männlichen Sinne. Nicht schön, aber beliebt.
Ungewandt stampfen sie von einer Disziplin zur nächsten, lassen sich, ähnlich den Sumo-Ringern in Japan, vom Volk feiern und leben die sportliche Geschichte fort. Eine, die sich in ihrer fortgeschrittenen Variante mit Chemie und immer raffinierter gestylten Sportgeräten Leichtathletik nennt und doch erst durch gelangweilte Krieger vor vielen Jahrhunderten erfunden wurde. So genannten „Clan-Gatherings“, die als Besprechung vor kriegerischen Handlungen dienten, fehlte der unterhaltsame Aspekt, der mit baumstammtragenden und -schleudernden Menschen alsbald erreicht wurde. „Tossing the Caber“, Baumstammweitwerfen, ist der sportliche Kilt der Schotten. Ebenso wie sie den traditionellen Rock zu bestimmten Anlässen tragen, ist das Baumstammweitwerfen die Königsdisziplin der Highland Games.
Allein den 5 Meter langen und mindestens 50 Kilo schweren Baumstamm in die gefalteten Hände und an die Schulter zu bugsieren, ohne dabei hintenrum umzufallen, gehört zu den ersten, schwer erlernbaren Übungen auf dem Weg zum Cabertosser. Ist der Stamm einmal richtig ausbalanciert, was ein hektisches Vor- und Rückwärtslaufen zur Bändigung des Gehölzes nötig macht, sollte das unhandliche Gerät mit schnellem Anlauf, weichem Stoppen, fließendem Kniebeugen und tierischem Gebrüll in hohem Bogen von sich gestoßen werden. Je mehr Schwung und Höhe der Stamm erreicht, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit des angestrebten Überschlages des Holzes. Ein Glücksmoment, den echte Schotten sonst nur bei dem Genuss eines hervorragenden Whiskys verspüren oder bei einem Sieg im Fußball gegen England.
Direkt nach dem Abwurf positioniert sich der Schiedsrichter hinter dem Wettkämpfer und liest nach erfolgtem Überschlag von dort die erreichte „Uhrzeit“ ab. Zwölf Uhr, der Stamm liegt in direkter Verlängerung zum Sportler, ist das Maximum der zu erreichenden Punkte. Überschlägt er sich nicht, wird vom Schiedsrichter per Augenmaß geschätzt, in welchem Winkel der Stamm den Boden berührt. Schon in der Kindheit werden echte, schottische Naturbürschchen mit kürzeren und leichteren Stämmen großgezogen, um ein echter „Highlander“ zu werden.
In Deutschland verzichtet man auf derart langwierige Trainingsmethoden und tauscht einfach mal das Sportgerät. Die deutschen Rasenkraftsportler des VfV Spandau um den schottischsten aller Spandauer, Omar Orloff (32), kommen fast ausschließlich aus der Leichtathletik, bevor sie als Hammerwerfer, Speerwerfer oder Kugelstoßer zurück zu den Wurzeln fanden. Vier Wochen vor einem Wettkampf tauschen sie die Kugel gegen einen Stein aus und trainieren so eher sporadisch. Das erklärt zumindest im Ansatz, warum die deutschen Sportler im Wettkampf gegen die Schotten statt im Kilt in hautengen Radlerhosen sporten müssen. Denn erst wer bei den Highland Games auf dem Treppchen stand, darf sich wie ein Highlander anziehen.
OKE GÖTTLICH
Auf der Außenseiterskala von null bis zwölf: 7 Punkte
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen