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Helden der Suggestofiktion

Von dem ausgedachten Volk der Khuza auf der „7 Hügel“-Ausstellung bis zu dem Potemkinschen Stadtleben der DDR: Der schöpferische Umgang mit der Wahrheit war schon immer kulturstiftend. Und bei genauerer Betrachtung erweisen sich viele Fakes als Plagiate – von anderen Fakes nämlich

von HELMUT HÖGE

Vor einiger Zeit enthüllte die Süddeutsche Zeitung, dass es das in der Berliner Großausstellung „7 Hügel“ mit diversen Kultgegenständen vertretene kleine sibirische Volk der Khuza nie gegeben habe. Der Kurator Klaus Heid habe sich da einen bösen Scherz mit uns Besuchern (oder den Steuerzahlern?) erlaubt. Wobei er, so legte nun der Spiegel nach, einfach alte Metalldichtungen der sibirischen Eisenbahn zu „Weltringen“ erklärte. Zu Relikten eines Volkes, das zuletzt nur noch auf einer kleinen Insel im Baikalsee gelebt haben und dort traumatisch am Verlust der Mitte gelitten haben soll. Ferner sei von Heid ein Stück Presspappenmüll zu einer „Beschwerdefigur“ ausgedeutet worden, von der sich die wegen ihrer legendären Melancholie und ihres sprichwörtlichen Missmuts bekannten Ursibirier einst Linderung erhofft hätten.

Die Süddeutsche Zeitung war für derartige Fakes extrem sensibel geworden, nachdem ihr Magazin bekanntlich lange Zeit frei erfundene Interviews ihres US-Korrespondenten Tom Kummer abgedruckt hatte. Diesem wurde daraufhin gekündigt, er entschuldigte sein Tun mit der Bemerkung: „Mir ist in Hollywood irgendwie die Verbindung zur realen Welt abhanden gekommen.“ Etwas Verbindung zu dieser haben die „Weltringe“ der Khuzas allerdings doch: In Russland heißt ein Stein mit Loch „Hühnergott“, und jedes Kind dort versucht so einen zu finden. Wenn man hindurchblickt, bekommt die weite Welt einen (runden) Rahmen, und das soll angeblich beruhigen. Klaus Heid wird nun aber auch noch – via der taz-ruhr – vorgeworfen, mit seinen Khuza eine Fake-Ausstellung über die Kultur der Keme, die im Frühjahr 1994 im ethnografischen Museum von St. Petersburg gezeigt wurde, plagiiert zu haben.

Bei der Keme-Kultur handelt es sich um das Exilfortleben der altägyptischen Zivilisation unter koptischem Vorzeichen. Zwischen dem 7. und dem 12. Jahrhundert verschwand sie in Ra-Kedet jedoch plötzlich von der Bildfläche. Die letzte Expedition unter der Leitung von Professor Schubin entdeckte jedoch 1993 Reste des Zentraltempels mit üppigen Wandmalereien, auf denen unter anderem die bereits 1987 von einer deutschen Keme-Forscherin behauptete Existenz „fliegender Altäre“ nachgewiesen werden konnte. Die St. Petersburger Ausstellung zeigte ferner Fotos von den Ausgrabungen, Zeichnungen und Reliefs, die arbeitende Frauen und Männer darstellen, sowie im ägyptischen Stil bemalte Kacheln und Vasen. Die ganze – nun von Heid in Berlin angeblich plagiierte – Präsentation lehnte sich ihrerseits stark an einige Geschichten von Jorge Luis Borges an.

Wie überhaupt der Plagiats- und Fakevorwurf in der Volkskunde und Kulturforschung längst Teil der Methode geworden ist. Jüngst wies der Philologe Francesco Carotta nach, dass das Leben Jesu bloß eine Umdeutung der Vita Caesars ist, wobei aus dessen Siegen im Bürgerkrieg die Heilung von Siechen wurde. Ein Freund Carottas nannte das in der Berliner Zeitung wiederum „genialen Unsinn“. Aber generell gilt: Jede Religion und jedes Volk basiert auf Fakes, Ursprungs- und Gründungsmythen eines Reiches, einer Dynastie, einer Disziplin, eines grundlegenden Gesetzes.

Apropos Gründungsmythos: Zu seinen Lebzeiten produzierte der antifaschistische deutsche Staat DDR auch gerne eigene Fakes – zum Beispiel unter der Leitung von General Josef Schwarz, der im Anschluss an den Barlachmuseums-Besuch von Helmut Schmidt mit einigen hundert Mitarbeitern des Ministeriums für Staatssicherheit in Güstrow ein vibrierendes Stadtleben simulierte – zur Zufriedenheit des sozialdemokratischen Bundeskanzlers.

Selbstredend war der DDR-Fake genau genommen auch schon das Plagiat einer russischen Idee: Als die UdSSR in den Siebzigerjahren Weltoffenheit und Toleranz demonstrieren wollte, sollten vor allem verdiente Arbeiter und Bauern mit Reisen nach Paris und London belohnt werden. Zugleich befürchtete man dort jedoch derart viele unangenehme Zwischenfälle mit ihnen, dass man schließlich einfach in der südrussischen Steppe eine Luxus-Urlaubsstadt errichtete, die fortan im Sommer als Paris diente und im Herbst als London. Ebenfalls in Südrussland richtete eine Kleinstadt ein Gräberfeld nebst Museum ein, das einer ganzen dort vernichteten SS-Division gewidmet ist, obwohl – oder gerade weil – der Ort abseits aller Kriegsschauplätze liegt und von der SS nie heimgesucht wurde.

Auch auf der Halbinsel Krim liebt man solche Fakes: So ergab gerade eine Wissenschafts-Expedition, die den Absturz von Joseph Beuys am 16. März 1944 erforschen wollte, dass gleich drei Krim-Dörfer mit genauesten Erinnerungen an den einstmals bei ihnen vom Himmel gefallenen deutschen Kampfflieger sowie auch mit Wrackteilen seines Sturzkampfbombers aufwarten konnten. Erinnert sei ferner an den bulgarischen Verpackungskünstler Christo, dessen Karriere in einer Klasse der Kunstakademie von Sofia begann, die sämtliche verlassenen Scheunen entlang einer neuen Eisenbahnstrecke als Fake-Baustellen zu verpacken hatte.

Die taz – als DDR im Kleinen – hat solche Fakes, wie sie Tom Kummer aus Hollywood lieferte und die der seriösen Süddeutschen Zeitung nun als schwerer Betriebsunfall gelten, schon vor zwanzig Jahren produziert. Jedoch nicht wegen der Spesen, sondern im Gegenteil: um Geld zu sparen. Bei diesen ausgedachten Interviews, unter anderem mit Thomas Pynchon, drei Strommasten-Absägern und einem DDR-Grenzsoldaten, ging es ihr zugleich um den Nachweis, dass man die Wahrheit auch halluzinieren kann, etwa mittels rauschgiftgestützten Einfühlungsvermögens. Das Interview mit dem Grenzsoldaten bewog dann leider eine Frankfurter taz-Redakteurin, die nebenberuflich noch als IM für die Stasi tätig war, ihrem Führungsoffizier gegenüber die Autoren als übel scherzende „Rechtsabweichler“ im eigenen Haus zu entlarven. Dem DDR-Dekompositionsverleger Christoph Links deuchte dagegen gerade dieses Interview noch lange nach der Wende als authentisch.

Inzwischen spricht man vom schöpferischen Umgang mit der eigenen Vergangenheit. Und denkt dabei an den bald in den Kinos anlaufenden Hollywood-Film „U 571“ – in dem die US Navy 1941 ein deutsches U-Boot und darin die berühmte Chiffriermaschine „Enigma“ aufbringt. In Wirklichkeit war es die „U 110“, und die „Enigma“ wurde von den Engländern geknackt. Wobei sie den Erfolg wiederum den vorangegangenen Entschlüsselungs-Künsten eines polnischen Teams zu verdanken hatte.

Trotz der scharfen öffentlichen Kritik am Khuza-Fake in der 28 Millionen Mark teuren „7 Hügel“-Ausstellung – die FAZ spricht von einem „Hauptstadtskandal“ –, der Hauptverantwortliche Bodo-Michael Baumunk ist ein früherer taz-Autor: Er spricht daher ganz cool von einer „Suggestofiktion“. Diese soll übrigens mit jenem schon erwähnten, über der Krim abgeschossenen deutschen Stuka-Bordschützen ihren Anfang genommen haben: Von den Krim-Tataren verfolgt, flüchtete Joseph Beuys nicht in den deutsch besetzten Westen, sondern nach Osten – zu den traurigen Sibiriern am Baikalsee, wo er dann quasi aus Dankbarkeit die Khuza-Forschung begründete.

Und so soll es ja auch sein. Wenn die Deutschen als „Helden“ nichts taugen, wie Historiker Michael Stürmer vor dem Unternehmerverband „Gesamtmetall“ ausführte, dann komme ihnen aber bei der wissenschaftlich-wirtschaftlichen (Wieder-) Eroberung des Ostens wohl eine führende Rolle zu.

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