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Der Luchs kehrt zurück

Im Harz werden heute drei Luchse ausgesetzt. Zwei Jahrhunderte nach ihrer Ausrottung solldie Wildkatze wieder heimisch gemacht werden – und sich weiter Richtung Süden ausbreiten

von KATRIN EVERS

Der Luchs, die scheue Katze mit Pinselohren und Stummelschwanz, kehrt in den Harz zurück. Seit 1818 war er im nördlichsten der deutschen Mittelgebirge ausgerottet, ab heute nun kommen drei Exemplare von Lynx lynx, so der wissenschaftliche Name des Luchses, wieder im Harz an. Die zwei Weibchen und das Männchen stammen aus verschiedenen Tierparks in Deutschland. Auch im Harz werden sie zunächst hinter Zäunen leben, um sich langsam an die Wildnis zu gewöhnen – und sich vom Menschen zu entwöhnen.

Die Luchse, die heute in dem Gehege in der Nähe von Bad Harzburg aus ihren Transportkisten klettern, bilden nur die Vorhut: Bis zu 30 Katzen sollen sich in den nächsten fünf bis zehn Jahren den Harz als Lebensraum zurückerobern. „Als Botschafter für ein neues Naturverständnis können sie ein Stück mehr Wildnis in den Harz und in die Köpfe der Menschen bringen“, hofft Wolf-Eberhard Barth, Leiter des Nationalparks Harz. Er setzte das Projekt um, zusammen mit den niedersächsischen Ministerien für Umwelt und Landwirtschaft sowie der Landesjägerschaft. Ein neues Naturverständnis bedeutet für Barth eine möglichst europaweite Vernetzung von Lebensräumen. Und eben Wildnis, eine vom Menschen möglichst unbeeinflusste Natur, wie Barth sie in den Wäldern am Fuße des Brockens seit 1994 umsetzt.

Dafür eignet sich der Luchs als Galionsfigur besonders gut: Er ist auf weitläufige, naturnahe Wälder angewiesen. An den Menschen wagt er sich normalerweise nicht heran. Und so ist auch die Chance, ihn in freier Wildbahn zu erspähen, sehr gering. Wichtig für den Luchs wäre auch die Verknüpfung seiner Reviere über den Harz hinaus. Im Harz reicht der Platz nur für eine Population von bis zu 30 Luchsen. Können sie sich nicht mit anderen Populationen mischen, gehen sie früher oder später an den Folgen der Inzucht wieder ein.

Barth hofft, dass die Harz-Luchse das Mittelgebirge und Waldlandschaften wie Hainich, Thüringer Wald und Fichtelgebirge oder die bewaldeten Flussauen der Elbe nutzen werden, um dorthin zu wandern, wo andere Populationen bereits etabliert sind. So könnte er eines Tages im genetischen Austausch mit Luchsen im Bayerischen Wald, in Österreich und in Tschechien stehen. Nötig wäre dazu auch so manche so genannte Grünbrücke, über die Tiere stark befahrene Straßen überqueren können. Gefordert werden die schon lang. Barth hofft, dass die Faszination, die von Luchsen ausgeht, diese Maßnahme endlich durchsetzen hilft.

Ob sich der Bestand im Harz aber stabilisieren und jemals die maximal 30 Tiere zählen wird, wird auch von seiner Akzeptanz bei Bevölkerung und Jägerschaft abhängen. Eine erfolgreiche Ansiedlung von Wildtieren ist oft weniger ein ökologisches Problem als ein psychologisches: Bär, Wolf und Luchs gelten noch immer als Nahrungskonkurrenten, die Haustiere und Jagdwild reißen. Der letzte Luchs im Harz wurde nach mehrtägiger Jagd erlegt – und sein Tod gab Anlass für ein Volksfest. „Wenn ein Luchs zu sehr an die Nähe des Menschen gewöhnt ist und mal ein Huhn aus einem Garten schnappt“, fürchtet Barth, „kommen die alten Feindbilder wieder hoch.“

Daher sei es wichtig, dass die Luchse während der fünf Monate in ihren Eingewöhnungsgehegen keine Menschen zu Gesicht bekämen und gefüttert würden, ohne zu merken, von wem. In der umzäunten Wildnis sollen sie zudem jagen lernen. Zwar ist ihr Jagdinstinkt angeboren, doch konnten die Luchse aus den Tierparks ihn bisher nicht nutzen: Das Tierschutzgesetz verbietet die Fütterung mit lebenden Tieren.

Die Jägerschaft konnte indes überzeugt werden, dass der Luchs nicht ernsthaft mit ihr um das Rehwild konkurriert. Der hat es eher auf Mäuse, Hasen, Füchse, Insekten und Vögel abgesehen. Eine Maus kann der Luchs aus 75 Meter Entfernung sehen und hören. Im Schnitt erbeutet ein Luchs auf einer Fläche von 400 Hektar ein Reh pro Jahr – durch Autos kommen im Harz wesentlich mehr um.

Die Chancen für den Luchs stehen also gut. Die Jäger unterstützten das Projekt, die Luchse werden scheu sein, für eventuell doch gerissene Nutztiere wird es Entschädigungen geben, und die Touristen werden begeistert sein.

Das Gehege, das die drei Luchse seit gestern bewohnen, ist nur ein Ablenkungsmanöver für neugierige Harz-Wanderer und Journalisten. „Das Interesse ist mittlerweile so gigantisch, dass wir die Luchse der Öffentlichkeit einfach zeigen müssen“, sagt Barth. Wo das wirkliche Auswilderungsgehege liegt, in dem die ersten Luchse erst ab dem Spätherbst leben werden, bleibt geheim. So kehrt der Luchs heute immerhin in das Bewusstsein der Menschen zurück. Und das ist die wichtigste Voraussetzung dafür, dass er auch dauerhaft die Wälder Mitteleuropas bewohnen kann.

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