: Das Warten an der McDonald’s-Straße
Der krönende Abschluss der Woche: In einem Gewerbegebiet bei Blumberg in Brandenburg versammeln sich jeden Sonntag hunderte junger Autofreaks und warten – einige von ihnen auf illegale Wettrennen. Die meisten drehen aber erst auf, wenn sie nach ein paar Stunden Nichtstun wieder abdüsen
von BERT SCHULZ
Die vier jungen Männer sitzen auf dem Bürgersteig. Sie quatschen ein wenig über Gott und die Welt und über Autos, nippen an einer Cola, einer nimmt einen Schluck aus einer Sixpack-Bierflasche. Neben ihnen wartet eine andere Clique – auf was, wissen die fünf auch nicht so recht. Das gleiche Bild: ein kurzes Gespräch, ein Schluck Brause.
Der malerische Sonnenuntergang an diesem Sonntagabend schönt die Kulisse, taucht sie in ein aufregendes Licht. Gerecht wird der Ort des trauten Beisammenseins dieser Romantik nicht. Hier wohnt niemand. Die Straßennamen huldigen den Investoren und künden von schlichtem Geschmack: „Möbel-Hübner-“ und „McDonald’s-Straße“.
Aufgemotzte Typen
Parkplätze, lange Flachdachhallen und die Leuchtreklame eines Hotels dominieren das Gewerbegebiet der brandenburgischen Gemeinde Blumberg, einige hundert Meter von der Autobahnauffahrt entfernt. Wenige Kilometer nördlich von Berlin. Für die jungen Leute ist die Filiale des Fast-Food-Bräters einer von zwei Anlaufpunkten. Der andere ist die tiefblau leuchtende Aral-Tankstelle. Ostdeutsche Öde trifft altwestdeutsches Konsumverhalten.
Die beiden Cliquen sind nicht allein: Sie haben ihre Autos dabei – wie weitere 800 junge Menschen aus Berlin und ganz Brandenburg. Jeden Sonntagabend steuern die Autonarren den wenig lauschigen Gewerbepark an. Seit sechs Uhr abends rauschen im Minutentakt Autos herbei. Darunter viele Golfs, Japaner, einige BMWs und sogar ein paar Trabbis. Nicht die Modelle für brave Bürger, sondern die aufgemotzten Typen. Hier ein Spoiler, dort breitere Reifen, gerne tiefer gelegt und mit abgedunkelten Scheiben. Einige haben die Rückbank aus- und eine Metallkonstruktion Marke Ralley eingebaut. Das Rückfenster ziert ein Aufkleber à la „Renault-Fanclub Bernau“ – Fabrikat und Ort sind austauschbar.
Ab acht Uhr abends wird‘s eng: Auf dem Parkplatz des Fast-Food-Restaurants, neben den Zapfsäulen und Staubsaugautomaten der Tankstelle, an den beiden Verbindungsstraßen und wo sonst noch ein Plätzchen frei ist – überall parken Autos.
Das beste Stück
„Solange ich denken kann, ist das hier ein Treffpunkt zwischen Ostern und Oktober“, sagt Ulf Rieger. Er ist der Pächter der Aral-Tankstelle. Ende 1996 hat er die Tanke übernommen. Treffpunkt ist das falsche Wort: Nach Blumberg ins Gewerbegebiet kommen zwar viele, sie treffen sich aber nicht. Sie sind einfach nur da.
Älter als 25 Jahre ist keiner der Fahrer und Mitfahrer. Überwiegend sind sie männlich – und das versuchen die Jungs auch zu zeigen. Kräftig Eindruck schinden mit den frisch frisierten Autos – das ist der Grund für den späten Sonntagsausflug. „Hier will jeder sein bestes Stück präsentieren“, meint die 19-jährige Antje aus Strausberg, eine der wenigen anwesenden Frauen. Ihre Freunde, mit denen sie hergekommen ist, lachen. Hören sie eine Zweideutigkeit heraus?
Nico ist einer der 800 Autofreaks. Glücklich berichtet der Trabbi-Fahrer aus Neuenhagen, wie er seine Kiste schon einen Tag nach dem Kauf bis aufs Pappskelett auseinander genommen hat. Beim Zusammenbau ersetzte der 18-Jährige die Rückbank durch dicke Lautsprecher, montierte einen Außenlautsprecher samt Sprechanlage und verpasste dem DDR-Symbol ein tiefblaues Rennfinish. So lässt sich’s eindrucksvoller fahren. Und seit über einem halben Jahr fährt er sonntags nach Blumberg.
„Das ist der krönende Abschluss der Woche“, schwärmt lässig René aus Berlin-Mitte. Nach eigenem Bekunden kommt er „szenetechnisch mehr aus der Fordrichtung“, ist aber trotzdem „typenoffen“. Vielleicht auch, weil er noch keinen Führerschein besitzt. „Kumpels“ will der 22-Jährige hier treffen und „einen Plausch halten“. Sagt er zumindest. Vielleicht hofft er es auch nur.
Denn dies ist keine Messe für Tuning-Experten und auch kein brodelndes Festival der Automobilisten. Nur selten geraten die jungen Autofreaks mit ihren Gleichgesinnten überhaupt ins Fachsimpeln. Die meisten stehen stundenlang vor ihren eigenen Kisten mit Freunden, die sie kennen und mit denen sie bereits hergedüst kamen. Ohne Fahrzeug setzt sich keiner in Bewegung – höchstens, um bei McDonald’s etwas zu trinken oder zu essen zu besorgen. Eines der wenigen Pärchen knutscht zwei Stunden fast ununterbrochen und rauscht dann wieder ab. Es passiert nichts: Nur selten heult ein Motor protzig auf, aus wenigen Autos klingt Technomusik. Die letzten Stunden des Wochenendes als absurdes Theater.
An einer Straßenecke genau zwischen Aral-Tanke und McDonald’s parken drei besonders auffällige Fahrzeuge, zwei VW-Busse und ein Kombi in Grünweiß: die Polizei. Auch sie spielt eine Statistenrolle. Die Beamten kontrollieren einige der vorbeifahrenden Autos und deren Insassen, etwa ob auch alle angeschnallt sind. Das ist alles.
Der Grund für die Präsenz der Ordnungshüter: Seit Juni finden im Norden von Berlin regelmäßig Wettrennen statt. Und seitdem verbringt auch Arne Feuring, Schutzbereichsleiter bei der Eberswalder Polizei, seine Sonntagabende größtenteils im Gewerbegebiet Blumberg. Die jungen Fahrer suchen sich eine längere gerade Strecke, häufig in Industriegebieten oder auf einem verlassenen Gelände wie dem alten Flughafen Werneuchen bei Bernau, berichtet er. Auf diesen 80 bis 100 Metern wird dann die Beschleunigung getestet, der zweite Gang bis in den roten Bereich hochgefahren.
Erkennen könne man potentielle Teilnehmer daran, dass sie auch im Sommer noch Winterreifen fahren, weiß Trabbi-Fahrer Nico. Die sind weicher und versprechen eine bessere Haftung. „Es macht einfach Spaß, andere Autos stehen zu lassen“, beschreibt Ford-Fan und Neuberliner Thomas die Herausforderung Rennen. In Hamburg, wo er als Chef eines Escort-Clubs amtierte, ginge es aber „heißer zu“. Übersetzt: Es gab mehr solcher Rennen. „Der Adrenalinkick dabei ist enorm“. Die Gefahr allerdings auch – urteilt die Polizei.
Möchtegern-Schumis
Nicht, dass im Gewerbegebiet Blumberg solche Rennen stattfinden würden. Dafür ist es viel zu eng. Und nur ein kleiner Teil der anwesenden Fahrer würde sich wohl überhaupt daran beteiligen, meint Schutzbereichsleiter Feuring. Von hier seien aber regelmäßig Möchtegern-Schumis zu geheimen Treffpunkten aufgebrochen. Durch hohe Polizeipräsenz, die sofortige Beschlagnahme der Fahrzeuge und den Einsatz von versteckten Kameras sei es inzwischen gelungen, die Rennfahrerszene zu verunsichern, ist Arne Feuring zufrieden. Illegale Rennen hätten in seinem Bereich keine mehr stattgefunden.
Die Szene zieht jedoch seit einigen Jahren „durch die Landschaft“, wie ein Berliner Kollege Feurings erklärt. 1993 etwa war ein regelrechtes Rennjahr im Umkreis von Berlin. Danach verdrückten sich die Raser nach Sachsen-Anhalt. Ganz verhindern lässt sich die Wetteiferei nicht. „Seit James Dean gibt es diese Rennen“, spielt der Berliner Beamte auf einen Film des einstigen Jugendidols als Quelle der Inspiration für die jungen Männer an.
Bei der allwöchentlichen Versammlung von Autofans in Blumberg bleibt die Polizei aber in ihrer Beobachterolle. Das bloße Treffen ist keine Straftat. Bei Kontrollen haben sich fast alle Tuningversuche als legal erwiesen. Auch Alkohol wird kaum konsumiert – zumindest nicht unter den Fahrern.
Alles rauscht vorbei
Die Betreiber des Fast-Food-Restaurants und der Tankstelle fiebern dem wöchentlichen Einfall der Autonarren wider Erwarten nicht entgegen. „Das ist kein umsatzmäßiger Hit: Die essen kaum etwas und machen viel Dreck, den wir wegputzen müssen“, klagt eine Mitarbeiterin von McDonald’s. Ulf Rieger von der Tankstelle schließt sich dem an. Er empfindet die ganze Veranstaltung als „unangenehm“, habe sich aber damit abgefunden.
„Sonntage sind für die Jungs klassische Saure-Gurken-Tage“. Der Polizeibeamte Arne Feuring betrachtet das wöchentliche Treiben mit einer Mischung aus Ungläubigkeit und Faszination. Inzwischen hat er sich eine eigene Interpretation zurechtgelegt: „Ich glaube, das ist für die Autofans hier wie zappen: Sie stehen da und alles rauscht vorbei.“
Gegen zehn Uhr ist Sendeschluss. In kleinen Gruppen brettern die Autos davon. Pro Ampelphase vier oder fünf, plus eins bei Dunkelgelb. Der Abgang ist lautstark: Beim Anfahren so spät schalten wie möglich, lautet die inoffizielle Regel. Auch die vierköpfige Clique verlässt den Bürgersteig und macht sich auf nach Hause – mit Papas Passat. Der Kavalierstart zum Abschied misslingt ihnen allerdings gründlich.
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