Spatzen fliegen eher tief

Nach dem unglücklichen Abstieg aus der Bundesliga haben Anhänger und Spieler des SSV Ulm beim 0:1 gegen Bielefeld noch nicht die richtige Einstellung zum Dasein in der Zweitklassigkeit gefunden

aus Ulm THOMAS BECKER

Kurz nach der Pause ging’s los: neue Töne im Donaustadion. Der SSV Ulm lag 0:1 zurück, und die Spieler wussten nicht so recht, wohin mit dem Ball. Etwas rat- und tatenlos schoben sie die Kugel hin und her. Hoch/weit hatten sie schon probiert – ohne Erfolg. Mehr fiel ihnen an diesem verregneten Abend nicht ein. Dann passierte das Unerhörte. Die Fans aus Block D, der Hardcore-Abteilung der Spatzen, die ihr Team selbst nach dem vollzogenen Abstieg aus der Bundesliga noch euphorisch feierten, sie stimmten einen neuen Gesang an: „Wir woll’n euch kämpfen sehn!“ In anderen Stadien ein gängiges, gezielt eingesetztes Stilmittel, um die eigene Mannschaft zu ein wenig mehr Engagement zu provozieren. Aber in Ulm! Da braucht man so etwas doch nicht. Da gehören unbedingter Einsatz- und Siegeswille doch so selbstverständlich zum täglichen Leben wie für unsereins Zähneputzen und Händewaschen. Die Provokation der Fans verpuffte. Es blieb beim 0:1 gegen Arminia Bielefeld (Torschütze: Christian Wück). Rang zehn nach zwei Spieltagen – die 2. Liga hat den SSV Ulm wieder.

Dabei hatte alles so vertraut begonnen. 13.000 chronisch aufgekratzte Ulmer waren trotz elenden Dauerregens zur ersten Heimpartie nach dem Abenteuer Bundesliga gekommen, wild entschlossen, auch in Liga zwo Spaß zu haben. „Auch in diesem Jahr soll es wieder heißen: Die spinnen, die Ulmer!“ So die Saisonvorgabe von Ulms Spitzensport-Koordinator Walter Feucht. Zumindest vor dem Spiel waren die Spatzen auf dem besten Weg, die mitreißende Stimmung der vergangenen Spielzeit zu wiederholen. Man tanzte zu Samba-Rhythmen und ignorierte einfach, dass es wie aus Kübeln schüttete. Das Feuerwerk gehört mittlerweile schon genauso zum Programm, wie der Special Event, den sich der Verein zu fast jedem Heimspiel ausdenkt. Diesmal schwebte die Miss Bayern, Mandy aus Neu-Ulm, aus 2.000 Metern per Fallschirm ein, in der Hand die Vereinsfahne. Doch der Anpfiff wirkte wie ein Signal für das Ende des Ulmer Höhenflugs. Nach der Partie maulte ein SSVler: „So eine Totenstimmung, da war ja gar nix los im Stadion. Bei 3:0 kann jeder feiern.“

Der SSV Ulm steht vor einer schweren Saison. Nur ein Tor fehlte zum Klassenerhalt – das nagt an Fußballers Seele. Das schlechte Beispiel des Karlsruher SC vor Augen, der sich nach dem Bundesliga-Abstieg im Jahr darauf auch aus der 2. Liga verabschieden musste, versucht man nun eher dem 1. FC Kaiserslautern nachzueifern. Die Pfälzer schafften 1997 den direkten Wiederaufstieg, indem sie auch im Unterhaus am teuren Erstligakader festhielten, den Etat und die Eintrittspreise fast auf dem selben Level hielten. Ähnlich sieht der Plan der Ulmer aus. Zwar sank der Etat von 22 auf 15 Millionen Mark, doch bis auf Torwart Laux, Verteidiger Marques und Stürmer Zdrilic blieb der Stamm der Truppe zusammen. Zudem wurde für Ulmer Verhältnisse ordentlich eingekauft. Von den acht Neuen sind vier Nationalspieler: Andreas Hilfiker (Schweiz), Verteidiger Helgi Kolvidsson (Island), Spielmacher Adnan Kevric (Bosnien-Herzegowina) und Stürmer Tomas Medved (Slowakei).

Auffallend viele Kreativlinge sind dabei, Ballstreichler, Trickser. Trainer Martin Andermatt, der ein Angebot seines ehemaligen Vereins Grasshoppers Zürich ablehnte, will in der neuen Saison kontrollierter spielen lassen, mit mehr „zielgerichteten Aktionen“, einer „ausgewogenen Offensive“. Und vor allem einer stabileren Abwehr. 62 Gegentore kassierte Ulm in der Bundesliga, und selbst im Aufstiegsjahr davor waren es 51.

Gegen die abgeklärten Bielefelder wurde klar, dass der SSV noch weit entfernt ist von der verschworenen Gemeinschaft der vergangenen Saison, die sich so sehr an ihrer eigenen Euphorie berauschen konnte. Fünf Neue standen gegen Arminia auf dem Platz – das wird noch dauern mit dem Zusammenspiel. Ob die Fans die Geduld haben? Einen Vorgeschmack gab’s ja schon: „Wir woll’n euch kämpfen sehn!“