Die Aufklärer aufklären

Die Schüler denken rechts, die Lehrer sind desinteressiert. Das ambitionierte Sonderprogramm gegen rechts kommt in Brandenburgs Schulen nicht recht an. Projekte beginnen, sich selbst zu evaluieren

von NICOLE MASCHLER

Unbequeme Fragen ist Jean-Jérôme Chico-Kaleu Muyemba gewohnt. Doch zuweilen fühlt er sich auf verlorenem Posten. Seit 1992 leitet der Wirtschaftswissenschaftler aus Zaire das Projekt „Ausländer machen Schule“ – seit 1996 im Auftrag der brandenburgischen Landesregierung. An drei bis vier Tagen pro Woche gehen er und seine Kollegen in Schulen, Kindergärten und Jugendeinrichtungen, um brandenburgischen Kindern über den Alltag in ihren Heimatländern zu berichten. Über das Schulsystem in Mosambik, Armut in Sierra Leone, Politik im Iran. 72 Veranstaltungen fanden im Jahre 1998 statt.

Nach acht Jahren Aufklärungsarbeit ist Muyemba ernüchtert: „Erstaunlich für mich ist, dass einige Lehrer die gleichen Meinungen äußern wie die Schüler. Zum Beispiel: ‚Asylbewerber tun gar nichts, bekommen aber Geld von Vater Staat.‘“ Massive Informationsdefizite bei denen, die doch eigentlich selbst informieren sollten.

Die Schulen aufwecken

Dabei hat das Land Brandenburg auch in diesem Jahr 4,25 Millionen Mark in den Kampf gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit“ gesteckt – 1,75 Millionen Mark mehr als 1999. Bis Weihnachten will das Bildungsministerium nun Rundbriefe an die 1.135 Schulen im Land versenden, um die Lehrerschaft an das Konzept „Tolerantes Brandenburg“ zu erinnern. Ursachenforschung nach dem fehlenden Interesse ist nicht vorgesehen. „Das Programm lässt sich nur schwer evaluieren, weil es aus einer Vielzahl von Projekten ohne feste Institutionen besteht“, glaubt Ministeriumssprecher Martin Gorholt. Eine Erfolgskontrolle finde denn auch nur indirekt statt. Über die Nachfrage nämlich.

Den Projektleitern reicht das nicht. Sie haben die Bewertung deshalb selbst in die Hand genommen. Ihr Fazit dürfte auch das Bildungsministerium interessieren. „Man muss darüber nachdenken, ob die Maßnahmen didaktisch immer das Gelbe vom Ei sind“, sagt Annegret Ehmann, Leiterin der Regionalen Arbeitsstellen für Ausländerfragen, Jugendarbeit und Schule Brandenburg (RAA). Seit 1996 wird das RAA-Projekt „Ausländer machen Schule“ vom Bildungsministerium gefördert. Doch Ehmann spart nicht mit Selbstkritik: „Es handelt sich keineswegs um pädagogisch geschulte Leute.“ Entsprechend nüchtern fällt ihr Urteil aus: „Nicht jedes Mal sind die Seminare ein Erfolg.“

Evaluierung light auch beim Pädagogischen Landesinstitut Brandenburg, das als Einrichtung des Landes für die „qualitative Weiterentwicklung der Schule“ verantwortlich ist. Das Institut organisiert Fortbildungen für Schulleiter und Lehrer. „Nach jeder Qualifizierungsmaßnahme verteile ich Fragebögen“, sagt Ulrike Kahn, Referentin für das Programm „Tolerantes Brandenburg“. Entsprechende Order vom Dienstherrn gibt es nicht.

Zweifel am Erfolg

Eine umfassende Bewertung des Programms steht bisher noch aus. Doch eines ist sicher: Am Erfolg der Maßnahmen zweifeln selbst die Beteiligten. Entscheidend bleibt das Engagement des einzelnen Lehrers. Und das lässt bisweilen zu wünschen übrig. Zwar haben die Regionalen Arbeitsstellen für Ausländerfragen, Jugendarbeit und Schule Unterrichtsbausteine zu „Nation – Deutschland“ oder „Gewalt“ erarbeitet und von August bis Dezember vergangenen Jahres 50 begleitende Fortbildungen durchgeführt. Fraglich ist jedoch, ob Lehrer die Seminare immer genügend vorbereiten, gibt RAA-Koordinatorin Ehmann zu bedenken. „Die Gefahr besteht, dass sie bloß ihre Projekttage füllen wollen“, klagt auch Marion Bernicke-Pérez von der RAA Rathenow. „Sie sehen uns als Servicestation.“

Überforderte Pädagogen

Fehlende Vorbereitung, mangelnde Besprechung – die Angebote der Bildungsträger erscheinen manchen Lehrern als willkommene Entlastung. Beim Thema Nationalsozialismus und Rechtsextremismus sind viele Pädagogen schlicht überfordert.

Um die Sprachlosigkeit zu überwinden, braucht es nicht selten den Anstoß von außen. Den Lehrern der Gesamtschule „Am Weinberg“ in Rathenow waren verstärkt Hetzparolen aufgefallen, Schüler tauschten rechte Musik, in einigen Klassen tauchte rechte Literatur auf. Das Kollegium entschied, eine gemeinsame Fortbildung zum Thema „Gesprächsführung und Umgang mit rechten Provokationen“ zu besuchen. Noch in der gleichen Woche durchsuchten die Lehrer Unterrichtsmaterial und Taschen ihrer Schützlinge nach verbotenen Symbolen, informierten in Elternversammlungen und planten erstmals Schülerfahrten ins Ausland.

Die Landesregierung hat den Lehrern daher Anfang des Jahres Beraterteams zur Seite gestellt – diesmal flächendeckend: In jedem der 16 Landkreise und kreisfreien Städte stehen jeweils eine Lehrkraft als Koordinator, ein Schulpsychologe und ein Vertreter der örtlichen RAA bereit, um bei Übergriffen einzugreifen und den Kollegen vor Ort Strategien zur Gewaltprävention an die Hand zu geben. „An manchen Ecken ist die Nachfrage noch schwach“, weiß Annegret Ehmann. Auch, weil viele Lehrer negative Konsequenzen fürchten. Zwei Drittel der Beratungsteams sitzen in den Räumen der staatlichen Schulämter. Die Nähe zur Dienstaufsicht befördert den offensiven Umgang mit dem Rechtsextremismus nicht unbedingt. Ohnehin können die professionellen Berater nur Feuerwehr spielen.

Doch nicht einmal dafür ist genügend Geld vorhanden. „Ich befürchte, dass angesichts der aktuellen Debatte nach den Ferien dutzende von Schulen anrufen und an Projekten teilnehmen wollen. Wir haben aber nie Mittel frei, um sie ad hoc einzusetzen“, beklagt RAA-Leiterin Ehmann. Rasch auf eine veränderte Situation reagieren? Fehlanzeige. Die Anträge für das laufende Jahr musste Ehmann bereits im vergangenen Jahr einreichen. Projektmittel für sieben RAA-Maßnahmen: 480.000 Mark.

Umso wichtiger sind langfristige Konzepte statt eines kurzatmigen Aktionismus. Fraglich nur, ob Gedenkstättenbesuche und Gespräche mit Zeitzeugen der NS-Vergangenheit, wie sie das gleichnamige RAA-Projekt vorsieht, noch zeitgemäß sind. Die Initiatoren setzen auf Authentizität der Berichte und menschliche Nähe.

Doch ist ein rechts denkender Jugendlicher dadurch zu beeindrucken? Lassen sich Schüler für die Schrecken des Nationalsozialismus sensiblisieren, wenn sie zum wiederholten Mal mit dem Konzentrations- und Vernichtungssystem des Dritten Reichs konfrontiert werden? Annegret Ehmann ist skeptisch. „Das führt bei vielen Schülern zu Ermüdung.“ Entscheidend seien Werte wie Toleranz, Menschenrechte und ein interkultureller Dialog. „Erziehung nach Auschwitz“, so ihr Fazit, ist keineswegs gleichbedeutend mit „Information über Auschwitz“.