telearbeit bei muttern von KATHRIN PASSIG:
Telearbeit ist keine schlechte Sache, Tele ohne Arbeit sogar noch besser. Nicht dass mein Berliner Büro nicht sehr wohnlich wäre: Wir sind im Besitz von 200 DVDs, einem Beamer und einem Surround-Sound-System, mit dem man die ausgeworfenen Patronenhülsen zum allgemeinen Entzücken in der Küche zu Boden fallen hören kann. Außerdem gibt es einen gut gefüllten Kühlschrank, und ein Putzmann räumt hinter uns her. Wer braucht einen Telearbeitsplatz, wenn es im Büro schöner ist als zu Hause?
Als ich noch zu Hause gearbeitet habe, bin ich morgens aufgestanden und habe mich ungewaschen und im Bademantel an die pizzaklebrige Tastatur gesetzt. Die Zukunft liegt, wenn man mich fragt, ganz sicher nicht im Heimarbeitsplatz, sondern in der Büro-WG mit allerhand schmucken Dingen wie betriebseigenen Whirlpools. Überhaupt glaube ich, dass das Büro der rechtmäßige Nachfolger der WG ist; das lassen jedenfalls unsere Auseinandersetzungen über die nicht in den Kühlschrank gestellte Milch vermuten.
Im Unterschied zur WG hat man aber auch noch ein Privatleben, in das man sich zurückziehen kann, und einen Privatkühlschrank, in dem das Essen nicht umgehend von einem kollegialen Heuschreckenschwarm vertilgt wird. Das heißt, andere Leute haben so einen Privatkühlschrank. Ich habe meinen letztes Jahr abgeschafft, nachdem ich im Rahmen einer allgemeinen Lebensbilanz feststellen musste, dass er nur noch ein Joghurtglas voll Kaffee enthielt, das mein Ex Axel – ich trinke keinen Kaffee – um 1994 dort deponiert hatte.
Ich bin also parasitär auf fremde Wirtskühlschränke angewiesen, und wenn der Kühlschrank im Büro sich leert, verlege ich meinen Arbeitsplatz ins Elternhaus. Besonders im Sommer gibt es Schlimmeres, als mit einem Eis im Garten zu sitzen und gefragt zu werden, was man gern zu Abend essen würde. Auch die lästigen Aufforderungen, doch jetzt in den Sommerferien mal einen Job in der Kartonfabrik anzunehmen, sind in den letzten Jahren selten geworden. „Telearbeit“, erkläre ich, wenn man mich fragt. „Geh mir aus der Sonne.“
Dank weit blickender Berufswahl kann ich so gut wie alles als Arbeit deklarieren, auch das Weglesen halbmeterhoher Krimistapel. Hin und wieder verschicke ich Mails. Des Weiteren möchte die Katze zweimal täglich von mir gebürstet werden, und damit enden meine Pflichten. Ich schneuze mich in Stofftaschentücher statt in Klopapier und esse vier Mahlzeiten täglich. Mittags fahren meine Mutter und ich mit dem Fahrrad zum Baden. Dort liegen wir in der Sonne und grunzen wohlig, während mein Vater das Geld für die vier Mahlzeiten und die Stofftaschentücher nach Hause bringt. Nur das Platschen der Amöben, die von Zeit zu Zeit aus dem Wasser springen und nach Insekten schnappen, durchbricht die Stille. Früher wäre man jetzt gefragt worden, ob man die Hausaufgaben für morgen schon gemacht hat. Erwachsensein ist auch keine schlechte Sache, denke ich und schließe die Augen. „Hast du deine Kolumne für morgen schon geschrieben?“, fragt meine Mutter.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen