„Das ist eine Demonstration“

Die Politikwissenschaftlerin Jeanette Hofmann kandidiert für das Amt eines Wahldirektors der Internet Corporation for Assigned Names and Numbers

taz: Warum kandidiert eine Wissenschaftlerin für ein Gremium, von dem noch niemand weiß, ob daraus eine Regierung oder bloß ein technischer Überwachungsverein wird?

Jeanette Hofmann: Die Wahl entwickelt sich zur Demonstration, mit der die aktiven Nutzer ihren Anspruch auf Mitwirkung bei der Verwaltung des Internets zum Ausdruck bringen. Das gilt auch für die Kandidaten, die sich, wie ich, selbst nominieren.

Das Wahlvolk der Icann, der Internet Corporation for Assigned Names an Numbers, heißt „At-Large-Membership“. Aus Europa kommen 35.942 Personen. Davon haben bisher nur 16.787 ihre Mitgliedschaft aktiviert. Wer mag das sein?

Darüber rätseln alle, die den Wahlprozess verfolgen. Ich bekomme zurzeit natürlich viele E-Mails von Wählern und Wahlbeobachtern. Aber ob Glückwunschschreiben und Hate-Mails wirklich verallgemeinerungsfähig sind? Interessant ist aber, dass die Bewerbungstexte der Kandidaten, die im Internet für die aktiven Mitglieder zugänglich sind, tatsächlich gelesen und kommentiert werden. Wenn ich das geahnt hätte, hätte ich sicher noch länger an meiner Bewerbung gebastelt.

Mit welchen politischen Fragen wird sich eine künftige At-Large-Direktorin demnach herumschlagen müssen?

Die kreisen um die zentralen Aufgaben von Icann, die Verwaltung der Namen und Nummern des Netzes. Das Domainnamensystem bedarf einer Neuordnung. Alle Beteiligten wissen das, können sich aber nicht auf eine Reform einigen, die diesen Namen auch verdient. Im Bereich der numerischen Netzadressen kündet auch schon ein fernes Grollen von künftigen Konflikten über Vergaberichtlinien. Soll sich etwa, wie manche meinen, die Political Correctness einer Site in der Nummernfolge der Rechneradresse niederschlagen?

Ist die Onlinewahl nicht schon so weit bürokratisch diskreditiert, dass man sie boykottieren sollte?

Das hielte ich für einen taktischen Fehler. Und was die Durchführbarkeit des Boykotts anbelangt: Die Wähler sind unbekannte Wesen. Wo und wen genau sollte man denn dazu aufrufen?

Nur 5 der 18 Direktoren werden von den Nutzern des Netzes gewählt. Zusätzlich gehört dem Leitungsgremium noch die oder der Vorsitzende an – zurzeit Esther Dyson. Ist das nicht eine Scheindemokratie, die überhaupt keinen Einfluss auf die Entscheidungen der Icann hat?

Der Begriff der Scheindemokratie suggeriert, Icann bemühe sich zumindest dem Anschein nach um ein demokratische Verfahren. Das aber ist gar nicht der Fall. Nach einer viel zitierten Bemerkung von Direktor Andrew McLaughlin versteht sich Icann explizit nicht als demokratische Organisation. Die Demokratisierung der Namen- und Nummernverwaltung ist ja gerade eines der Ziele, die erst durchgesetzt werden müssen. Auch darum geht es bei dieser Wahl.

Im Icann-Bezirk Europa haben sich inzwischen zahlreiche Kandidaten selbst aufgestellt. Icann wird sie nur akzeptieren, wenn sie mindestens zwei Prozent der Wahlberechtigen als Unterstützer nachweisen können. An der Spitze steht bislang Andy Müller-Maguhn, der Sprecher des Chaos Computer Clubs. Sie selbst stehen auf Platz zwei. Offensichtlich wird die Europawahl in Deutschland entschieden, das auch die Mehrheit der europäischen Icann-Mitglieder stellt. Wird die Wahl damit zu einem nationalen Popularitätstest?

Hierzulande gilt bei vielen als Klassenziel, dass der künftige At-Large-Direktor ein Deutscher sein muss. Medien wie der Spiegel, die alle deutschen Kandidaten auflisten und – man glaubt es kaum – auch noch die Schweizer Kandidaten darunter subsummieren, unterstützen diese Haltung noch. Diese Nationalisierung einer europäischen Wahl ist gleich in zweifacher Hinsicht ein politisches Armutszeugnis. Zum einen verkennt sie den transnationalen Bezugsrahmen basisdemokratischer Willensbildung im Internet, zum anderen verstellt sie den Blick auf die inhaltlichen Fragen, die eigentlich Thema des Wahlkampfes sein sollten.

Wäre es nicht sinnvoller, ein Icann-Parlament einzurichten?

Von einem Parlament würde ich in diesem Zusammenhang nicht sprechen wollen, aber es ist wirklich wichtig, um den künftigen Direktor herum ein verlässliches und sachkundiges Beratungsgremium zu schaffen. Zusätzlich bedarf es eines breiteren Forums, das offen für die Mitwirkung aller interessierten Nutzer in Europa ist. Der Direktor wird nur so stark sein wie die Netzgemeinde, die ihn unterstützt.

Wenn Sie gewählt werden, müssen Sie als Erstes darüber entscheiden, wie viele und welche neue Top-Level-Domains es geben wird. Sind Sie nun für „.firm“ oder „.sucks“?

Das Paradiesische am Internet ist ja der Überfluss. Entweder-oder-Fragen wie diese stellen sich aus technischer Sicht gar nicht, weil der Namensraum beliebig erweiterbar ist. Eigentlich geht es darum, ein neues System für die Registrierung von Namen und geschützten Warenzeichen einzuführen, das uns von den vielfach so unglaublich kleinlichen Auseinandersetzungen um einzelne Domainnamen endlich erlöst. Da die Wirtschaft Domainnamen jedoch als Besitzstände betrachtet und die nationale Rechtsprechung diese Auffassung unterstützt, wird der Wandel von einer Reformblockade ausgebremst. Wenn man das Domainnamensystem die große Bürde, reale Personen-, Produkt- und Markennamen abzubilden, endlich losgeworden ist, können beliebig viele Top-Level-Domains geschaffen werden. Wenn es nach mir ginge, sollte es also weder nur „.firm“ oder nur „.sucks“ geben. Es geht vielmehr darum, die kulturelle Vielfalt im Netz zu erhalten – und dafür werde ich mich einsetzen.

INTERVIEW: CHRISTIAN AHLERT

Christian_Ahlert@harvard.edu