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Streiten statt verbieten

Das Parteienverbot sollte auch im Kampf gegen die rechtsextreme NPD nicht angewandt werden – denn es gefährdet potenziell den Freiheitsspielraum jeder Opposition

Es geht um die Frage,ob die demokratischen Spielregeln bei jeder Belastungsprobe zur Disposition gestellt werden

Schon Ende der Sechzigerjahre, als die NPD spektakuläre Erfolge bei Landtagswahlen erzielte, wurden Forderungen nach einem Verbot dieser Partei laut: Ängste vor einer Wiederkehr des „braunen Spuks“ gingen mit der Sorge einher, das Sammelbecken alter Nazis könne dem Ansehen der jungen Bundesrepublik schaden. Im November 1968 hatte Ernst Benda, damals Innenminister im Kabinett der Großen Koalition, noch erklärt, es liege genug Material für ein Verbot vor. Doch wenig später, nach der Bundestagswahl, in der die Nationaldemokraten knapp an der 5-Prozent-Sperrklausel scheiterten, wurde der Antrag endgültig ad acta gelegt.

Seitdem geriet alle Jahre wieder Parteien in die Grauzone des Verdachts, ein Hort der organisierten Verfassungsfeindschaft zu sein: die Deutsche Kommunistische Partei (DKP), die Stammtischrepublikaner Schönhubers, die SED-Nachfolger von der Partei des Demokratischen Sozialismus PDS, die Deutsche Volksunion DVU, ja und auch die Grünen, lang ist’s her.

Solchen innerstaatlichen Feinderklärungen lag niemals eine wirkliche Gefahr für die Demokratie zugrunde, sondern die so gereizte wie kleinmütige Ausgrenzungsbereitschaft der deutschen Mehrheitsdemokraten. Nun also wieder die NPD, eine Partei, die seit ihrer Gründung vor über 35 Jahren vor allem eines unter Beweis stellte: ihre politische Ohnmacht. Mitgliederschwund und Promilleerfolge bei Wahlen belegen das. Der Wunsch, diese Partei aus dem demokratischen Verkehr zu ziehen, provoziert daher die Frage, was denn die „reichsweit“ gerade einmal 6.000 Nationaldemokraten so gefährlich mache. Die Antwort ist ernüchternd: Genau genommen gar nichts Bestimmtes.

Die Nationaldemokratische Partei ist heute nicht gefährlicher als vor 2 oder 20 Jahren. Räumt man den Schutt beiseite, den die Erklärungen der letzten Wochen auftürmten, wird das öde Schema sichtbar: Fremdenfeindliche Gewalt erzeugt beim Publikum berechtigte Empörung, bei Politikern aber den gefürchteten Handlungsdruck.

Da man nun aber nicht hinter jeden Halbwüchsigen, der imstande ist, Hakenkreuze zu malen, „Neger“ zusammenzuschlagen oder Brandsätze zu schleudern, einen Sozialpädagogen oder Polizisten postieren kann, gilt es, die Ratlosigkeit im Inneren der Sicherheit zu überspielen: Bestehende Gesetze schärfer anwenden ist das Mindeste! Ansonsten müssen halt neue und härtere her, aber schnellstens! Oder eben das Verbot einer einschlägig verdächtigen Organisation: Völker, hört die „Signale“!

Man nennt das symbolische Politik. Dass ihre Konjunkturen mit der rituellen Ausgrenzung Andersdenkender einhergehen, hat hierzulande Tradition. Das zeigt sich auch in der jüngsten Debatte. Denn bezeichnenderweise ist eine Kleinigkeit ziemlich untergegangen: die Frage, was denn die NPD konkret mit den fremdenfeindlichen Gewaltexzessen der letzten Zeit zu tun haben soll.

Das Argument, die Organisation habe sich vom behäbigen Altherrenstammtisch zum Aktionsforum gewaltbereiter Neonazis gewandelt, überzeugt nicht. Gewiss, die wirklichen Nazis sind den Nationaldemokraten weggestorben. Jüngere Kader wuchsen nach, etliche bekennende Neonazis fanden in der NPD eine neue Heimat. Diese Entwicklung macht die NPD aber nicht zu einer neonazistischen Partei.

Vor allem: Wegen ihrer teils offenen, teils heimlichen Sympathie für fremdenfeindliche Gewalt ist sie nicht die „Schaltzentrale“ (Spiegel) solcher Aktionen. Nicht einmal der Verfassungsschutz, der „Die Nationalen“ seit Jahr und Tag ausspitzelt, behauptet das. Und selbst wenn einzelnen Mitgliedern strafbare Gewalttaten nachgewiesen werden, kann man nicht die gesamte Partei als terroristische Organisation einstufen.

In Sachen Gewalt also Fehlanzeige. Macht nichts, könnte man einwenden. Genügt nicht die „verfassungsfeindliche“ Gesinnung, wenn sie sich nur „aktiv kämpferisch und aggressiv“ gibt, wie es im KPD-Verbotsurteil von 1956 heißt? Schließlich wurden die Kommunisten nicht wegen ihrer Militanz verfolgt, sondern weil sie vollmundig den „Sturz des Adenauerregimes“ propagierten, Marx und Stalin lasen und von der Diktatur des Proletariats träumten.

Auch die 1952 verbotene Sozialistische Reichspartei (SRP) stellte keine Gefahr für die Demokratie dar, sie wurde in personeller und progammatischer Hinsicht als Nachfolgeorganisation der NSDAP eingestuft. Lässt sich da, mangels handfester Taten, nicht auch der NPD wenigstens ein gestörtes Verhältnis zu unserer Verfassung anhängen?

Leider ist dieser Einwand nicht zu entkräften, denn das Grundgesetz der Bundesrepublik bietet mit dem Parteiverbotsartikel 21 Abs. 2 die Möglichkeit, jedwede Opposition gegen die herrschende Staats- und Gesellschaftsordnung zu unterdrücken. „Parteien“, heißt es dort, „die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen“, können vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt werden.

Seit ihrer Gründung vor über 35 Jahren hat die NPD vor allem eines unter Beweis gestellt: ihre politische Ohnmacht

Das gibt dem Staat die außergewöhnliche Macht, politisch anstößige Parteien wegen mangelnder Verfassungstreue ausschalten zu lassen. Zumal wenn die diskutable Verbotsalternative, das „Verhalten der Parteianhänger“, durch eine fragwürdige Interpretation auf bloße Agitation reduziert wird. Dass eine Partei „Ziele“ propagiert, die eine „Grundordnung“ stören, dieser ideologische Hochverrat rechtfertigt es normalerweise nicht, sie vom politischen Wettbewerb auszuschließen. Kein Zufall, dass in anderen demokratischen Verfassungen etwas Vergleichbares nicht zu finden ist.

Das Parteiverbot ist mithin ein äußerst ideologieanfälliges Instrument des präventiven Verfassungsschutzes. Dagegen kann rechtsstaatliche demokratische Selbstverteidigung auf den faulen Zauber einer zur Staatsreligion hochstilisierten fdGO verzichten. Sie beschränkt Polizei und Justiz strikt auf die Abwehr konkreter Gefahren, das heißt auf die Bekämpfung politisch motivierter Gewalttaten. Den Rest überlässt sie dem ungehemmten Meinungskampf. Einzig Parteien, deren Anhänger Leib und Leben anderer systematisch gefährden, sind demnach zu verbieten.

Es ist müßig, darüber zu spekulieren, wie das Karlsruher Orakel über einen Verbotsantrag gegen die NPD entscheiden würde. Es kommt auch nicht darauf an, ob eine in die Illegalität abgedrängte Partei schlechter zu kontrollieren ist. Es geht nicht um taktisches Kalkül und tagespolitische Schachzüge. Es geht um die Frage, ob die demokratischen Spielregeln bei jeder Belastungsprobe zur Disposition gestellt werden oder ob mit diesen Spielregeln in Deutschland endlich Ernst gemacht wird.

Wer ohne triftigen Grund mit Legalitätsentzug droht, gefährdet den Freiheitsspielraum potenziell jeder Opposition. Der Skandal des bundesdeutschen Verbalextremismus beginnt dort, wo ihm „streitbare Demokraten“ mit dem Parteiverbot ein Ende machen. HORST MEIER

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