Was vom Luxussozialismus blieb

Auf der einstigen Leninallee ist das Leben erfroren, im Rathaus hängen fromme Wünsche der Hortkinder – etwa „Arbeitsplätze für Mutti und Vati“

von JENS RÜBSAM (TEXT)
und ANJA WEBER (FOTOS)

Wenn der Hüttenstädter wissen will, wo er eigentlich lebt, dann schaut er nach im Geschichtsbuch: „Erste sozialistische Stadt auf deutschem Boden“, „Stadt ohne Vergangenheit“, „Stein gewordenes Parteiprogramm“. Die Texte sind überladen mit Begrifflichkeiten, Symbolen, Klischees – dabei ist Eisenhüttenstadt nichts weiter als ein kleines Monster, vor fünfzig Jahren als Stalinstadt hingewuchtet in den märkischen Sand, gleich neben das Stahlwerk J. W. Stalin. Einziger Sinn: Die perfekte Einheit von Arbeit und Leben schaffen. Wie sich die Erbauer diese vorstellten, wird sichtbar an der Lindenallee, einst Leninallee. Das Eisenhüttenkombinat Ost (1961 umbenannt wie auch die Stadt) an einem Ende, am anderen das Rathaus. Zwischendrin alles, was der sozialistische Mensch brauchte: Theater, Geschäfte, Restaurants, Wohnungen, dahinter Schule und Kindereinrichtungen. Wo einst Luxussozialismus zur Schau gestellt wurde, ist heute das Leben erfroren. Selbst Hüttenstädter würden nun in die Geschichtsbücher notieren: „Stadt ohne Zukunft.“ Wer sah, dass Restaurants für den rechtschaffenen Feierabend mathematisch aufgeschlüsselt wurden – auf 1.000 Einwohner kamen 40 Kneipenstühle –, wer eine Eingabe an den Staatsrat machte, wenn er keinen Kindergartenplatz in seinem Wohnkomplex bekam, der strauchelt, wenn nichts mehr so ist, wie einst. 51.000 Einwohner zählte Eisenhüttenstadt zu DDR-Zeiten, heute sind es noch 43.000. 12.000 Beschäftigte hatte das Stahlwerk, heute sind es noch 3.000. Gefeiert wird in dieser Woche dennoch, das 50-jährige Jubiläum. Im Rathaus hängen Pappblumen. Hortkinder haben darauf ihre Wünsche formuliert – oder Hilferufe? „Arbeitsplätze für Mutti und Vati“, „fröhliche Menschen“ und „viele bunte Blumen“.