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Sittenwidrig, unlauter und lukrativ

Alle tun es: Ob im Kino, im Fernsehen, im Internet oder in der Presse – Product-Placement in den Medien hat epidemische Ausmaße angenommen. Insider beziffern die Gewinne dieser Schattenwirtschaft mit bis zu 500 Millionen Mark jährlich

von THOMAS SCHUSTER

Der junge Mann mit dem nackten Oberkörper ist noch außer Atem. Eben erst hat er spektakuläre Übungen vor einem Millionenpublikum vollbracht. Der junge Mann ist Turner, der Anlass seiner schweißtreibenden Vorführung eine populäre Sportsendung. Lächelnd fragt der freundliche Moderator, wie man sich denn im Alter von 30 Jahren noch so fit halten könne. Der junge Mann antwortet höflich: „Ich gehe auch mal zu McDonald’s.“ Ob der junge Mann für die freizügige Offenbarung seiner für Sportler eher untypischen Ernährungsgewohnheiten (ZDF-Sportstudio am 12. 8. 2000) von der Hamburger-Kette eine Gage bezog, bleibt sein Geheimnis.

Denkbar jedoch wäre es. Die Filmbranche hat es vorexerziert, das Fernsehen hat es hoffähig gemacht und das ganze Internet lebt davon: Versteckte Werbebotschaften werden heute systematisch den Medien untergejubelt – im so genannten Product-Placement.

Das heimliche Geschäft

Auch im Fernsehen ist aus dem heimlichen Geschäft mit der geschickten Platzierung käuflicher Requisiten ein florierendes Business geworden. Reiseunternehmen sponsern Ferienserien, der Krimi verkommt zur Bierwerbung. Daily Soaps dienen überhaupt nur der Fortsetzung des Werbeblocks mit anderen Mitteln.

Dass man’s selbst da noch übertreiben kann, zeigt das Beispiel der Reality Soap „Big Brother“, die gerade wegen Schleichwerbung für den Hersteller einer Modelleisenbahn von der Hessischen Landesanstalt für privaten Rundfunk gerügt wurde. Dergleichen wird aber gerne in Kauf genommen: Allein in Deutschland beläuft sich der Umsatz laut Schätzungen von Insidern auf 100 bis 500 Millionen Mark jährlich. Wenn hinter dem Moderator und Manager Lothar Späth minutenlang das Logo der DG Bank im Bild ist (in der n-tv-Talkshow „Späth am Abend“), dann ist das den Werbevermarktern des Fernsehkanals zu verdanken: Sie sorgen für die optimale kommerzielle Nutzung der knappen Sendezeiten, indem sie Programm und Produktvermarktung in einer redaktionellen Dauerwerbesendung fusionieren. Das Attraktive am Product-Placement ist seine Unauffälligkeit: Es handelt sich um getarnte Werbung, um eine Markenpräsentation, die nicht als solche erkennbar ist – weswegen die Werbetreibenden eine besonders hohe Wirkung erwarten: Das Publikum erfährt davon nichts.

Im Kino ist Product-Placement laut Eintscheidung des Bundesgerichtshofes grundsätzlich zulässig; bei Werbung gegen Entgelt muss allerdings im Vorspann darauf hingewiesen werden. Für das Fernsehen gilt dies jedoch nicht. Hier ist durch Product-Placement in der Regel der Tatbestand der sittenwidrigen Werbung oder des unlauteren Wettbewerbs erfüllt. Doch scheint dies heute kaum noch jemanden zu stören. Wieso auch: Juristen weisen gerne darauf hin, dass die Rechtsprechung zu einer weiten Auslegung der relevanten Vorschriften neigt. Die Frage scheint nur noch, ob es plump oder professionell gemacht wird. Hier hat das Internet völlig neue Maßstäbe gesetzt.

Im World Wide Web ist das Geschäft mit der heimlichen Werbung völlig außer Kontrolle geraten: Von fein eingestreuten Werbeködern bis zu fiesen Kampf-Inseraten, die den Surfer bis zur Besinnungslosigkeit verfolgen, findet sich eine Vielzahl von Variationen. Die Vermischung der Formen wird hier gezielt und systematisch auf die Spitze getrieben: Als Regel gilt, dass im Internet praktisch nichts mehr ohne den Einfluss kommerzieller Interessen läuft.

Der laxe Umgang mit der Werbung in den neuen Medien führt zur Enthemmung auch in den alten: Im Literaturbetrieb sind „Sonderwerbeformen“ auf dem Vormarsch. Zum Beispiel in dem neuen Roman „Cross Dressing“ von Bill Fitzhugh. Der Autor hatte mit dem Getränkehersteller Seagram vorab ein Honorar für die Erwähnung seiner Whiskey-Marke ausgehandelt. Fitzhughs Gage: Die Filmrechte wurden für 1,25 Millionen Dollar an die Universal Studios verkauft – Universal gehört zu Seagram. Ein Einzelfall? Die Welle der Schleichwerbung hat längst auch den Journalismus erfasst. So gehört es zur Routine im Printgeschäft, Firmenkunden, die für ein großes Anzeigenaufkommen sorgen, mit „Gefälligkeiten“ bei der Stange zu halten. Eine positive Erwähnung hier, ein etwas umfangreicherer Bericht da. Im Zeitungsalltag ist dies gang und gäbe, und gelegentlich werden sogar Pressemitteilungen unverändert ins Blatt gehoben.

Die Sonderteile und Supplements zu unzähligen Anlässen strotzen nur so vor PR. Vorauseilender Gehorsam paart sich hier mit Marschbefehlen von außen: Eine vornehme Zurückhaltung gegenüber den Empfindlichkeiten der „Werbepartner“ ist in vielen Redaktionen selbstverständlich. Forderungen von Inserenten nach einem positiven redaktionellen Umfeld sind tägliche Routine. Die angesehene Columbia Journalism Review schreibt dazu: „Es ist eindeutig: Unternehmen und ihre Werbeagenturen machen den Redakteuren und Herausgebern Dampf, und einige Zeitschriften sind dabei, zu kapitulieren.“ Selbst deutsche Chefredakteure haben sich schon öffentlich über die Einmischung ihrer Anzeigenabteilungen beklagt. Einhelliger Tenor: Der Druck der Werbewirtschaft wächst.

Der Pressekodex des Deutschen Presserats ist dabei eigentlich ganz unzweideutig: „Die Verantwortung der Presse gegenüber der Öffentlichkeit gebietet, dass redaktionelle Veröffentlichungen nicht durch private oder geschäftliche Interessen Dritter oder durch persönliche wirtschaftliche Interessen der Journalistinnen und Journalisten beeinflusst werden“ (www.presserat.de).

Werbung als Konzept

Doch zahllose PR- und Werbe-Profis machen sich einen Sport daraus, diese Trennung nach allen Regeln der Kunst zu unterminieren. Und manche Medien spielen kräftig mit: Wenn nicht die Interessen Dritter, so sind es oft die kommerziellen Ziele der Medien, die zu ähnlichen Resultaten führen.

In der Praxis nämlich spielt die Absicht, Inserentengelder abzugreifen, schon in der Konzipierung neuer Medien eine zentrale Rolle. Zum Beispiel in den Wirtschaftsmedien: Mit der Flut der Business-Blätter wird nicht nur eine neue Leserschicht, sondern auch ein neuer Kreis von Werbekunden gewonnen: Banken, Broker und andere Finanzdienstleister. Für ausreichend Raum, „Produktinformationen“ in das redaktionelle „Umfeld“ einzubauen, wird dabei schon seitens der Medienmacher gesorgt. Die Verzahnung von Wirtschaft und Medien wird immer enger und droht in eine gemeinsame, gigantische Marketing-Maschine zu münden, in der Medieninhalte immer feiner auf die Interessen der Sponsoren zugeschnitten werden.

Für das Publikum ist dabei immer weniger erkennbar, was Product-Placement und was redaktioneller Inhalt ist. Je härter der Kampf ums Kapital der Kunden, desto weicher die Grenzen zur Produktvermarktung. Von butterweich bis fließend ist heute alles drin.

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