piwik no script img

Ungewohntes Wohnen

■ Eine Ausstellung in der Glashüttenstr. 113 nähert sich dem vielleicht Alltäglichsten

Es begann mit der Farbe Magenta, der Margitta Rosenau verfallen war. Ein ganzer Raum sollte mit ihr ausgefüllt sein. Also mietete das Künstlerinnenprojekt Magdalena K. eine sanierungsbedürftige und mittlerweile leerstehende Wohnung in der Glashüttenstr. 113 an. Dort waren größere Rauminstallationen möglich, während gleichzeitig andere Künstlerinnen ihre Ideen zu einem Thema – beispielsweise der Farbe Magenta – präsentieren konnten. In der „häuslichen“ Umgebung, in der ein Besuch des Badezimmers dem Auge Ungewohntes kundtat, sollten die Besucherinnen sich zum Stöbern eingeladen fühlen. Was man in Wohnungen normalerweise immer verstohlen tut, nämlich nach Zeichen der Besitzerinnen Ausschau zu halten, war hier Ausdruck einer interaktiven Kunst. Man ist erlaubterweise an der Entdeckung von außergewöhnlich Gewöhnlichem beteiligt und hat an diesem Querschnitt aus Privatheit und Öffentlichkeit seinen Spaß. Und der Weg zum nächs-ten Getränk und zum anstehenden Gespräch ist auch nicht weit – vorausgesetzt, man definiert sich als Frau und erfüllt somit die Zugangsbedingungen zur Ausstellung.

An diesem Wochenende haben sich die ausstellenden Künstlerinnen nicht einer Farbe, sondern dem Wohnen selbst verschrieben. Was heißt wohnen, wie hat man gewohnt und was ist gewohnt – diese Fragetriade stellt sich in den Ausstellungsexponaten. Besonders gewichtig steht da ein Bett im Raum, von Stef. Engel mit Aussteuerlinnen bezogen, auf das sie Wilhelm Reichs Orgasmuskurven gedruckt oder gestickt hat. Hier vermischt sich weibliche Stick-Tradition mit psychoanalytischen Vorstellungen. Denn Freuds verstoßener Schüler Reich wollte dem Faschismus mit einer befreiteren, „genitalen“ Sexualität zu Leibe rücken und stieß dennoch in seinen statistisch-ausgelegten Forschungen auf weibliche „Sexualitätsstörungen“. Mit Stef. Engel bleibt jedoch die Frage, ob diese verwissenschaftlichten Reich'schen Kurvenmalereien nicht bloßes Ornament im alltäglichen Bettgeschehen sind. Margitta Rosenau und Elke Schmidtpeter wiederum wenden sich in ihren Installationen den alltäglichen WG-Geschehnissen zu. In Langzeitbeobachtung ging Schmidtpeter den Ortsveränderungen von abgestellten Tee- und Kaffeekannen auf ihrem Küchenfensterbrett nach. Und Rosenau gibt mit Milchflaschen, die auf ganz individuelle Kühe verweisen, ein entscheidendes Plädoyer für eine Trennung von Angelegenheiten am Küchentisch. Wer die Augen offenhält, wird beim Besuch der Ausstellung noch weitere Exponate finden – und sei es beim Blick in den Spiegel.

Doro Wiese

Sonnabend, ab 19 Uhr, Sonntag, ab 15 Uhr, Glashüttenstr. 113 – Nur für Frauen!

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen