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Auch Lara Croft hat ihre Tage

Bei der Internationalen Frauenuniversität wird nicht nur diskutiert: Studentinnen entführten eine virtuelle Heldin, um zu zeigen, wie begrenzt Geschlechterrollen sind  ■ Von Sandra Wilsdorf

Lara Croft sieht auch schwanger gut aus. Unter einer mexikanischen Bluse wirken die langen Beine noch länger. Natürlich ist sie als Wissenschaftlerin sowieso nicht blöd, aber Norwegerpullover über dem Fußball-Busen und ein Buch „Good Future“ lassen sie gleich belesener wirken. Wenn sie statt Taschenlampe und Pistole mal Tampon und Binde in den Händen hält, macht sie das ein bisschen normalfraulicher. Nur auf der geschlechterübergreifenden Behindertentoilette wirkt sie deplaziert. Schließlich ist sie zu perfekt fürs Klo. Daran ändert auch ihre Entführung nichts: 13 mit Lara Croft-Gesichtern maskierte Frauen haben am Donnerstag Abend einen Computerladen in der Grindelallee gestürmt und die Figur aus dem Schaufenster entführt. Sie sind Studentinnen der Internationalen Frauenuniversität (Ifu).

Die VerkäuferInnen des Ladens sind eingeweiht und bleiben deshalb tatenlos. „Wir entführen Lara Croft, weil sie immer nur als Heldin oder als Sexsymbol dargestellt wird. Wir werden mit ihr experimentieren, um zu zeigen, wie begrenzt diese Darstellungen sind“, erklärt Bigit Pretzsch. Jutta Weber klemmt sich die Pappfigur unter den Arm. Die Frauen lachen. „Wenn unser Land sonst keine Probleme hat, scheint es uns ja gut zu gehen“, geifert ein Kunde. Die Frauen stört das nicht, sie bringen die virtuelle Heldin über die Straße in die Universität.

Die ifu tagt seit Mitte Juli „100 Tage für 100 Jahre“ in Hamburg, Hannover, Bremen, Clausthal, Kassel und Suderburg unter dem Oberbegriff "Technik und Kultur“ (taz hamburg berichtete). Sie ist ein EXPO-Projekt und wird unter anderem vom Bundesbildungsministerium, vom deutschen Akademischen Austauschdienst sowie Stiftungen, Unternehmen, Bundesländern und Städten gefördert. Hamburg ist Gastgeber für den Schwerpunkt „Information“, der Senat hat 1,2 Millionen Mark gegeben. In der Hansestadt arbeiten 127 Studentinnen aus 60 Ländern und unterschiedlichsten Disziplinen in zwölf Projekten, beispielsweise zu „Community Development“, „Future of Education“ oder „Health Care Information“. Drei Viertel der ausländischen Studentinnen sind mit Hilfe von Stipendien hier. Der Hamburger Schwerpunkt hat mit 360 Bewerberinnen die meisten Frauen verlockt.

Die 13 Lara Croft-Entführerinnen gehören zum Projekt „Reconstructing Gender“ und beschäftigen sich damit, wie Geschlechteridentitäten in verschiedenen Kulturen konstruiert und dekonstruiert werden und welche neuen Erfahrungsmöglichkeiten dabei Informationstechnologien bieten. Dabei spielt auch Lara Croft eine Rolle. „Für mich ist sie eine Frau mit großem Potenzial, aber sie wird immer nur als Heldin oder als Sexsymbol dargestellt und damit eindeutig auf ein männliches Publikum reduziert“, sagt Birgit Pretzsch, die in Dublin Gender Studies studiert und ihre Abschlussarbeit über die Computerspielheldin geschrieben hat. Lara Croft, sagt Pretzsch, könnte den Wandel der Identitäten und die Verschmelzung von Mensch und Maschine verkörpern.

Im Unigebäude wird die Figur entheldet: Sie bekommt Bücher statt Pistole in die Hand, muss mal Brille tragen, mal braunrote Blusen-Rock-Kombination aus Korea, mal bestickte Bluse aus Mexiko. Die Studentinnen aus Deutschland, Makedonien, Rumänien, Kanada, Mexiko, Korea, der Türkei und Spanien filmen und fotografieren sie. Während Lara Croft für einige der Frauen wissenschaftlich bearbeitet und Alltagsanblick ist, haben andere sie hier erst kennengelernt. „Ich hatte sie noch nie vorher gesehen und bin mir nicht sicher, ob sie die Frauen repäsentiert oder gerade das Gegenteil“, sagt Nashru Lopez aus Mexiko City.

Genau diese unterschiedlichen Erfahrungshorizonte und Sichtweisen machen die ifu aus. Einer der Schwerpunkte des „Renconstructing Gender“-Projektes ist Cyber-Feminismus. Seine Vertreterinnen tauschen sich über das Internet aus, das cyberfeminstische „Old Boys Network“ veranstaltete ein öffentliches Happening auf der documenta in Kassel, und die Bewegung will Frauen und Technik einander näherbringen. „Während Radikal- und Ökofeminismus eher technikfeindlich waren, plädiert dieser Ansatz dafür, dass es für Frauen darum geht, Einfluss zu nehmen, damit sie nicht wieder außen vor bleiben“, sagt ifu-Studentin Jutta Weber. „Wir arbeiten viel mit Ironie, es geht nicht darum, die Technik abzulehnen, sondern sie sich anzueigenen. Nicht affirmativ, sondern kritisch.“ Cyberfeministinnen verabschieden Manifeste, aber hacken auch auf Pornoseiten. Und dafür „muss man sich einfach auskennen“, sagt Monika Graus.

Es gehe nicht mehr um die Abgrenzung von Männern, nicht um Polarisierung. „Im Internet kann man Geschlechterrollen auch mal ausprobieren, die Grenzen werden immer unklarer“, sagt Jutta Weber. Monika Graus findet diese Diskussionen hochspannend: „Wir sind jetzt im Postfeminismus, da ist eine neue Generation von Frauen, die absolut mitgestalten will“. Die alten Geschlechterrollen hätten ausgedient: „Aber wenn man alles dekonstruiert, wo steht man dann?“ Diese postfeministischen Diskussionen stoßen nicht bei allen ifu-Teilnehmerinnen auf Verständnis: „Für einige Frauen aus Afrika und Indien beispielswise hat die Bezeichnung Feministin etwas sehr Negatives“, sagt die Tübingerin. Viele würden jeden Tag mit Problemen wie AIDS und Genitalverstümmelung konfrontiert, da sei wenig Platz für Diskussionen über Postfeminismus. Nashru Lopez sagt es so: „Ich verstehe nicht viel von feministischen Theorien, aber ich lebe in meiner Familie überwiegend mit Frauen zusammen, wir leben Freiheit, wir leben Feminismus.“

Entführungsopfer Lara Croft jedenfalls haben die Frauen zurück in ihr Schaufenster gebracht, mit Zetteln beklebt, die Hinweise auf feministische und cyberfeministische Internet-Adresse tragen: Lara Croft, eine postmoderne Heldin.

Informationen, auch zu den öffentlichen ifu-Veranstaltungen, gibt es unter Tel.: 42838-6912.

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