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Vom Glück der Pendler

■ Die Bremer Familie Böttger hat ein Haus gebaut und ist an das Ende der Welt gezogen / Die taz besuchte die Stadtflüchtlinge und blickte in die Ferne

Als die Sonne schon tief am Horizont steht, fahren wir zum „Hohen Berg“ am Rand von Ristedt. Hier gehen die Böttgers oft spazieren und genießen den Blick auf Bremen. Die Stadt liegt strahlend da wie eine Verheißung. Vor einigen Jahren jedoch hat die Bremer Familie in die umgekehrte Richtung geschaut und sich daran gemacht, ihren Traum vom Leben auf dem Land zu verwirklichen. Seit 1998 leben Monika, Rolf und Benjamin Böttger in Ristedt, einem Ortsteil von Syke.

„Aus dieser Quelle trinkt die Welt“, hat ein Witzbold auf den alten Gülletank am Straßenrand gepinselt. Drei Busse verbinden Ristedt täglich mit dem Rest der Welt. Es gibt ein paar Vereine, ein Krieger-denkmal, einen Zigarettenautomaten, einen Kindergarten (noch) und einige andere Institutionen mehr. Der Edeka hat für immer geschlossen. 1999 lebten 1.236 Menschen in Ristedt.

Sandweg 7a. „Wir sind Stadtmenschen“, sagen Monika und Rolf Böttger über sich selbst. Beide von Geburt an Bremer, haben sie zuletzt in einem eigenen Reihenhäuschen in Kattenesch gewohnt. Ihre Idee, aufs Land zu ziehen, sei aber uralt, erinnert sich die 46jährige Monika Böttger. Vielleicht wegen der Tiere, sagt sie. Wegen der Selbstverwirklichung, sagt er (47). Und dafür braucht man Platz.

Anfangs sei man durchaus bereit gewesen, in der Stadt zu bleiben, so Rolf Böttger. Aber ein Grundstück von über 1.000 Quadratmetern? Keine Chance, sagt er. Die Quadratmeterpreise für Bauland seien in Bremen doppelt so hoch wie umzu. Und: Wenn er einmal quer durch die Stadt fahren müsse, um nach Hause zu kommen, könne er auch ins Umland ziehen. Also griffen die Böttgers zum Zirkel, zogen einen 50-Kilometer-Radius um die City und gingen auf ihrem Motorrad auf die Suche.

Im September 1996 kaufte die Familie ein Teilstück einer ehemaligen Hofstelle in Ristedt und setzte darauf ihr 150-Quadratmeter-Traumhaus. Nebenan, locker verteilt: Sechs weitere Traumhäuser. Knapp zwei Jahre später wurde Einzug gefeiert. „Das wir das mal schaffen würden!“ wundert sich Monika Böttger noch heute. Sie und ihr Mann sind keine Großverdiener: Er ist bei der BSAG, sie arbeitet als Buchhalterin in Bremen. Möglich sei das alles nur gewesen, weil sie bereits Eigentum gehabt hätten. Dazu kam ein Kredit, viel eigene Arbeit, die Eigenheimzulage und „Wohnkindergeld“. Bis zur Rente wollen die Böttgers ohne Schulden sein.

Das Haus am Sandweg: Eichenfachwerk von oben bis unten, darüber ein Satteldach. Stufengiebel und Ziegelmauerwerk. Unter der rustikalen Außenhaut moderne Ytong-Steine. Sprossenfenster. Traum der Böttgers war immer ein „echtes“ Bauernhaus. Im Inneren: Viel freier Raum, Holz und weiße Wände. Ein selbstgebauter Kamin. Aus dem Wintergarten blickt man auf eine Teichlandschaft.

Erfahrungen. „Wir sind Ortsfremde geblieben“, sagen die Böttgers heute. Höchstens mit den Nachbarn habe man Kontakt. Vereine sind ihre Sache nicht, beide sind berufstätig, die Kinder sind groß, und Bremen ist nah. Dort erledigen sie alles vom Arztbesuch bis zum Großeinkauf. In der Stadt wohnt auch die 24-jährige Tochter des Ehepaares. Sohn Benjamin (18) hingegen musste mit aufs Land. Der Schulwechsel nach der neunten Realschulklasse sei schon schwer gewesen, erinnert er sich. Jetzt macht Benjamin eine Tischler-Ausbildung bei der BSAG und ist Pendler – wie seine Eltern. Ein Passat und ein Twingo parken vor dem Haus. Das wäre in Bremen auch nicht anders gewesen, sagen die Eltern. Nur würden sie heute mehr Geld für Benzin ausgeben. Manchmal fährt Monika Böttger mit dem Fahrrad nach Hause – um sich zu entspannen.

Auf der Veranda. Hundedame Tanita fläzt in der Sonne, die beiden Katzen turnen auf den Stühlen herum. Die alten Eichen rauschen. Herr Böttger blickt genießerisch auf die saftig grüne Pferdekoppel, die direkt an der Grundstücksgrenze beginnt. Aber er ist realistisch: „Es besteht die Gefahr, dass hier in fünf Jahren noch ein paar Bremer dazukommen“. hase

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