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Radio in Farbdruck

Mittags, halb 12 in Frankfurt: Die alte Dame „Frankfurter Rundschau“ bringt ein aktuelles Mittagsblatt heraus. Und verspricht sich viel davon

aus Frankfurt MATTHIAS THIEME

Wann soll ein berufstätiger Pendler eine umfangreiche Tageszeitung lesen? Beim Frühstück reicht es bestenfalls für drei Schlagzeilen, während der Bahnfahrt vielleicht für einige Spalten unter dem Fettgedruckten. Und dann? Schluss, aus, fertig. Abends sind Radio und Fernsehen ohnehin aktueller und zudem leichter konsumierbar.

Wer hätte gedacht, dass jetzt gerade die grundgute und liberale Tante Frankfurter Rundschau trotz Wechseljahren schwanger wird und dem chronisch gestressten „Flexiblen Menschen“ (Richard Sennett) des Rhein-Main-Gebietes stolz ein flinkes, buntes High-Tech-Baby präsentiert? City heißt die neue Mittagszeitung aus dem Hause der FR, die seit gestern zwischen Frankfurt, Mainz, Gießen und Wiesbaden um 12 Uhr an den Kiosken liegt. Die Mittagszeitung ersetzt die bisherige Rundschau am Abend, erscheint Montag bis Freitag und kostet 50 Pfennig. Zwölf bis sechzehn durchgehend farbige Seiten mit Meldungen vom Tage für die schnelle Information in der Mittagspause. „Lebendig, kurz, knackig und unterhaltsam“ soll die City sich dem Auge des Lesers präsentieren, sagt Redaktionsleiter Jörg Reckmann, der das neuartige Zeitungsprojekt konzipiert hat. Mit externer Hilfe des holländischen Grafikers Koos Staal habe man ein Layout entwickelt, das „mobile, junge Leute“ ansprechen soll, die mit einer herkömmlichen Abo-Zeitung nichts mehr anfangen können. City sei keine Boulevardzeitung, sondern „seriöses Infotainment“ für „langsam verloren gehende Leserschichten“, sagt Reckmann, der auch die Stadtredaktion des Mutterblattes leitet. Besonders im Blick hat Reckmann die rund 300.000 Pendler, die täglich in die 600.000-Einwohner-Stadt Frankfurt strömen. Den zeitarmen Massen soll City mit knappen Berichten, einer „Schnelllesespalte“ und einem umfangreichen Veranstaltungskalender die Lust am Zeitungslesen zurückgeben. „Gedrucktes Radio, und zwar in Farbe“, soll die eigene Druckerei in Neu-Isenburg künftig produzieren.

Bunte Infos

Auf die Farbe ist die Nachkriegsdame FR, die jahrzehntelang lieber aufrecht altmodisch im schlichten grauen Bleikleid und lediglich mit grünem Stirnband geschmückt zum Kiosk flatterte, besonders stolz. „Und sie bewegt sich doch“, staunten die kritischen Kollegen schon bei der ersten Schönheitskur der betagten, eher friedensbewegter Ästhetik verhafteten hessischen Lady. Plötzlich waren ganzseitige Farbfotos im Blatt, Aufmacher zum Thema Comics und ein Layout, dem man die Erkenntnis ansah, dass auch nach 1968 Zeitunglesen auch mal Spaß machen darf.

Jetzt kommt mit der Mittagszeitung der zweite Paukenschlag in einem Jahr. Dreizehn Mitarbeiter produzieren seit gestern zur übel frühen Backwarenverkäuferzeit, nämlich von 6 bis 10.45 Uhr das City-Blatt: jünger, bunter, kürzer, aber angeblich mit der journalistischen Qualität der FR. Mit welcher Auflage, möchte Jörg Reckmann noch nicht verraten und weist dpa-Berichte, in denen von etwa 100.000 Exemplaren die Rede ist, als Spekulation zurück. Die vorab in Auftrag gegebene Marktanalyse „sah gut aus“, so Reckmann. Der Erfolg der Magazinerneuerung und der derzeit laufenden massiven Werbekampagne lässt den City-Redaktionsleiter gelassen nach vorne schauen. „Wir sind so gut wie noch nie und haben im Stadtgebiet kräftig zugelegt“, so Reckmann. Die neuesten Zahlen belegen dies: So lag die verkaufte Auflage, die 1998 zum Teil unter 190.000 gerutscht war, im zweiten Quartal diese Jahres mit 194.769 Exemplaren so hoch wie schon lange nicht mehr. Die staatstragende Konkurrentin FAZ lag zuletzt bei 407.772 verkauften Exemplaren.

Genialer Coup

Mit dem Mittagsblatt könnte der linksliberalen Frankfurter Rundschau ein Coup im Kampf um Marktmacht gelungen sein. Denn es kursieren Gerüchte, wonach die norwegische Schibsted-Gruppe, die mit der Gratiszeitung 20 Minuten Köln nach dem Untergang der Berliner 15 Uhr aktuell fast allein auf weiter Flur steht, auch in andere Ballungszentren wie das Rhein-Main-Gebiet vordringen wolle. Die journalistisch dürftige Gratiszeitung wird nur über Werbung finanziert. „Wir machen City nicht wegen Schibsted“, dementiert Reckmann anders lautende dpa-Meldungen. Das Mittagsblatt sei in Form und Konzeption „eine völlig neue Zeitung“. Reckmann sieht den Vorstoß der FR als „Bereicherung des Zeitungsmarkts“, die, einmal erfolgreich etabliert, auch als Bollwerk gegen künftige Gratiszeitungsprojekte fungieren könnte. „Wenn einer käme, hätte er jetzt größere Probleme“.

Die erste City-Ausgabe machte gestern mit einem zweispaltigen Farbfoto und einem Bericht über den brennenden Fernsehturm in Moskau auf. Neben Agenturmeldungen finden sich auch eigene Berichte. WWW-Adressen verweisen auf Zusatzinformationen im Internet. Eine bunte Grafik informiert über die Empfänger deutscher Waffenlieferungen. Von oben links rast ein feuerroter Formel-1-Wagen Richtung Moskau-Aufmacher: „Blamage: Schumi Zweiter“. Doch keine Angst: So infotaining kann die FR naturgemäß gar nicht werden, als dass ihre Mittagszeitung mit dem billigen Lätta-Journalismus der ebenso kosten- wie substanzlosen Schibsted-Blättchen verwechselt werden könnte. Die hessische Tante startet durch. Das Rennen ist offen.

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