lidokino: Filmveteranen und fragwürdige Mediendeals
Kofferlos in Venedig
Dass Gepäckstücke in irgendwelchen Transportbandlabyrinthen verschwinden, ist wohl normal. Nur scheint kein Mensch weniger an ihr Wiederauffinden zu glauben als die Sachbearbeiterinnen am „Lost luggage“-Schalter in Venedig. „Ja, ja, wir kümmern uns darum“, gähnt die eine. „Eine Zahnbürste und Unterwäsche würde ich mir aber schon mal kaufen“, meint ihre Kollegin, die sich in der Ecke räkelt.
Die lethargische Siestastimmung setzt sich im Festivalpalast fort. Hinter kahlen Ständen döst ein verlorenes Häuflein Hostessen. Den Katalog hat noch keiner gesehen, aber „morgen, übermorgen oder in den nächsten Tagen wird er wahrscheinlich fertig werden“. Ob Clint Eastwood eine Pressekonferenz gibt? „Kann sein, aber fragen Sie lieber morgen noch mal nach.“
Wenigstens steht im Corriere della Sera, dass der Siebzigjährige mit seiner vierjährigen Tochter (inklusive Play Station und einem Koffer mit Videospielen) schon in Venedig angekommen ist, zur Eröffnung des Filmfests wird ihm Sharon Stone einen Goldenen Löwen fürs Lebenswerk überreichen. Danach kann Eastwood mal wieder beweisen, dass die alten Haudegen doch immer noch die besten sind: In seinem Film „Space Cowboys“ fliegt er mit Tommy Lee Jones, Donald Sutherland und James „Rockford“ Garner ins Weltall, um einen defekten Satelliten zu reparieren und es den Jungschen noch mal zu zeigen.
Ohnehin ist das Programm in diesem Jahr etwas für Gerontologen. Mit Eastwood, Claude Chabrol (70), Robert Altman (75) und Manoel de Oliveira (92) stehen Autorenveteranen im Zentrum des Festivals – in Altmans „Dr T. and the women“ spielt Richard Gere einen Schürzen jagenden Gynäkologen, der mit „Charlies Engel“-Farah-Fawcett verheiratet ist und über die Frauenfrage die Kontrolle über sein Leben verliert.
Außer Konkurrenz laufen Kitano und Woody Allen (auch schon 65), ansonsten gibt es im Wettbewerb jede Menge unbekannte Namen, die, wie die italienische Starkritikerin Irene Bignardi voll Pathos schreibt, „dem Schweigen der Massenmedien entrissen werden“. Darunter gibt es schon einen unbesehenen Favoriten: Ein iranischer Film, der sich mit der Unterdrückung der Frau befasst und auch noch „Der Kreis“ heißt, muss einfach gewinnen. Nicht in den Wettbewerb geschafft hat es „Der Krieger und die Kaiserin“ von Tom Tykwer – wieder mit Franka Potente, deren Lola vor zwei Jahren vom Lido aus ihre internationale Vermarktung in Angriff nahm.
Sind Filmfestivals eigentlich öffentliche Ereignisse oder Events, die privatwirtschaftlich verdealt, gesponsert und verkauft werden können? Wenn die Champions League quasi Eigentum von Premiere World ist, kann sich dann ein Fernsehsender auch das Monopol auf ein vom Staat subventioniertes Kulturereignis ersteigern? Alberto Barbera, Chef der Mostra, hat dies mit einem klaren „Ja“ beantwortet, indem er einen bisher einmaligen Schritt gegangen ist: Er verkaufte die Rechte an allen Pressekonferenzen an Tele più, einen Ableger des französischen Giganten Canal plus, dem ja bereits auch Cannes „gehört“. Das Novum: Der Pay-TV-Kanal verscherbelt das exklusive Material wiederum für 1.500 Dollar pro Minute an internationale Fernsehsender – alle anderen Kameras müssen draußen bleiben. Was bedeutet, dass die anwesenden Journalisten postwendend der Rechte an ihren eigenen Fragen beraubt werden. Demonstrationen sind bereits geplant. Ein italienischer Fernsehkollege überlegt, sich öffentlich anzuketten – und wenn es hart auf hart kommt, wird vielleicht auch die taz mit ihrer Z-wie-Zivilcourage-Aktion einsteigen. KATJA NICODEMUS
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen