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Die neue Hausregisseurin am Schauspielhaus Ute Rauwald inszeniert Sarah Kanes „Gier“  ■ Von Annette Stiekele

Die Anspannung, die noch bei der Pressekonferenz zur ersten Spielzeit im Deutschen Schauspielhaus unter der neuen Leitung von Tom Stromberg bestand, ist verschwunden. Der Leistungsdruck ist dem Probealltag gewichen und die Regisseurin Ute Rauwald zeigt sich gut gelaunt, wenn sie über ihre erste Hamburger Regiearbeit, Gier von Sarah Kane, spricht, die im Malersaal am 29. September Premiere hat.

Mit Jan Bosse und Ingrid Lausund gehört die Hamburgerin zu den drei auserwählten jungen Hausregisseuren, auf die Stromberg in seiner ersten Spielzeit setzt und mit denen er einige Sitzplätze füllen muss. Rauwald stammt wie Nicolas Stemann und Falk Richter aus der Riege der jungen Shooting Stars der sogenannten „Hamburger Schule“, die sich durch einen freieren Regiebegriff auszeichnet. Texte werden bearbeitet, umgeschrieben und paraphrasiert. Improvisation rückt in den Vordergrund und schafft Raum für spontane Einfälle gegenüber dem althergebrachten Sprechtheater.

Erste Regieerfolge feierte Rauwald, Absolventin des Studienganges Schauspieltheaterregie der Universität Hamburg, mit ihrer Diplominszenierung Sechs hässliche Töchter Inc. Durch dieses Stück, mit dem sie 1998 den Regiewettbewerb der Wiener Festwochen gewann, wurde auch Tom Stromberg auf sie aufmerksam. Zuletzt inszenierte sie „Killed by P. nach Heinrich von Kleists Penthesilea auf Kampnagel.

Doch die Tage des freien Schaffens sind für sie vorbei. Nun wird es ernst. Tom Stromberg, mit dem sie Ästhetik und die Liebe für die Freie Szene verbindet, hat Ute Rauwald engagiert, um sie vor dem gegenwärtig so beliebten Ausverkauf der Jungregisseure zu bewahren. Für die sehr zart wirkende 35-Jährige, die nebenbei auch noch zweifache Mutter ist, eine echte Herausforderung: „Bei den Proben zu den Previews war meine neun Monate alte Tochter immer dabei.“ Pro Spielzeit kann – oder muss – sie jetzt drei Inszenierungen abliefern und sich dabei den engen Zeiträumen des Hauses anpassen. Rauwald will hier neue Ansätze ausprobieren.

Bislang hat sie stets versucht, „das, was der Autor sagt, zu hören, gefühlsmäßig zu erfassen und auf eigene Weise zu übersetzen“. Eine typische Rauwaldarbeit war bislang eine Folie von Subtexten zu einem klassischen Stoff. Das neue Projekt zeigt da deutlich in eine andere Richtung. Crave – oder Gier, wie es in der Übersetzung von Marius von Mayenburg heißt – ist das letzte zu Lebzeiten, im Sommer 1998 in Edingburgh, uraufgeführte Werk der britischen Dramatikerin Sarah Kane, die sich im vergangenen Frühjahr in einer Londoner Klinik das Leben nahm. Den Hamburgern ist Gesäubert, von Peter Zadek als Splatterdrama mit hohem Requisitenverschleiß in den Hamburger Kammerspielen inszeniert, noch in Erinnerung. Diese in den Stücken angelegte sehr explizite zeitgenössische Gewaltsprache war es, mit der Kane berühmt wurde. In Zerbombt verweist sie anhand der Thematik des Bürgekrieges mit schockierender Eindringlichkeit auf Gefühlsarmut und Verrohung der Gesellschaft.

In Gier gibt es vier Personen. Sie heißen A, B, C und M. Vier Stimmen geben einen lakonisch gefärbten Dialog wieder, der sich verzahnt. Die Figuren sind einsame Monaden, geplagt von einer tiefen Lebens- und Liebessehnsucht und zugleich geschüttelt von Lebensekel. Mit seinen kargen Zeichen gibt der Text viele Rätsel auf. „Für mich ist das Stück auf seine Art aber auch ein klassischer Stoff“, sagt Ute Rauwald, und ihre Dramaturgin Eva-Maria Voigtländer setzt hinzu: „Es gibt ein richtiges Tragödienpersonal. Die Geschichte wird aber nicht von vorn nach hinten, sondern in Versatzstücken erzählt. Für die Moderne hat Sarah Kane die Gewaltdarstellung neu formuliert, aber in der Auswahl des Grausigen bewegt sie sich auf ganz traditionellem Terrain.“

Rauwald entdeckt hinter der oberflächlichen Depression sehr viel Leben in den Figuren und sogar eine mitschwingende Heiterkeit. Die Figuren begeben sich auf eine Reise und erleben gemeinsame Dinge. „Es ist ein positives Stück, denn keiner steigt aus. Sie geben nicht auf, auch wenn die Situation es vielleicht verlangt“, sagt Ute Rauwald. Von expliziter Hoffnung will sie aber nicht sprechen. Der Mythos, das dramatische Phantom Sarah Kane spielt nur am Rande ein Rolle, der – diesmal ungebrochene – Text steht im Vordergrund. „Die Figuren sind real und sie erleben reale Dinge, Geschichten eben“, sagt Rauwald, „das Stück ist ein Kreisen um das Verstehenwollen, die Frage, ob ich ein Ritual finde, mit meinem Leben umzugehen und wieviel die Seele aushalten kann.“

Da gibt es in der Tat einiges zu erdulden, Kindesmißbrauch, Vergewaltigung und Kriegserlebnisse. Auch wenn die Bühnenwelt wie das Leben der Sarah Kane alles andere als ein „langer, ruhiger Fluß ist“, von „Action, Sex and Crime“ will Rauwald deswegen noch lange nichts wissen. Und Eva-Maria Voigtländer meint: „Es geht hier um normale Menschen, die sich allerdings in ungewöhnliche Situationen begeben. Die sitzen sicher nicht in der Küche und frühstücken.“

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