: „Wir galten als reaktionär“
A lo Cubano: Die Rapper der Orishas über den Unterschied zwischen kubanischem Rap und seinem US-Vorbild, versteckte Codes gegen die Zensur – und warum sich Bankraub auf Kuba nicht lohnt
Obwohl in Havanna eine große Szene existiert, sind die Orishas die erste HipHop-Gruppe aus Kuba, die im Ausland Erfolg hat. Wie seid ihr ursprünglich zum Rap gekommen?
Russo: Die Sache kam ins Rollen, als Freunde von uns, die ins Ausland gereist sind, ein paar Instrumentaltracks mitbrachten, die wir dann unter uns herumreichten. Wir hörten sie uns zu Hause an und texteten dann darüber, was uns so einfiel.
Yotuel: Russo und ich haben anfangs in einer Gruppe gespielt, die sich Amanza nannte. Wir haben uns als „Poeten der Straße“ gesehen und gehörten zu den Ersten, die in Kuba Rap gemacht haben. Das war ziemlich radikal, von der Straße runter, urban. Das Beispiel hat dann Schule gemacht.
Wie waren am Anfang die öffentlichen Reaktionen?
Roldàn: Das ändert sich jetzt langsam zum Besseren. Am Anfang wurden wir quasi als Handlanger der USA betrachtet, als Reaktionäre und Leute mit ideologischen Problemen.
Russo: Da hieß es dann, wir seien vom „Feind“ beeinflusst und würden nur die Musik des „Feindes“ nachspielen. Bis jetzt wird HipHop in Kuba nur als Jugendbewegung, nicht als neuer Musikstil wahrgenommen.
Rap ist ja eine Kultur der Sprache. Gibt es ein Problem, in Kuba über bestimmte Dinge zu reden?
Yotuel: In Kuba gibt es eine ziemlich massive Zensur. Du kannst als Rapper nicht alles sagen, was du möchtest. Also muss man nach Wegen suchen, um die Leute zu erreichen und sich verständlich zu machen: Man entwickelt Codes, eine verschlüsselte Sprache, die die Jugendlichen aus dem Viertel verstehen. Du sprichst etwa über eine Feder, meinst damit aber etwas ganz anderes, und die Eingeweihten verstehen dich genau. Das ist die Sprache der Straße.
Wie steht ihr zum Vorwurf der bloßen Nachahmung?
Roldàn: Meiner Meinung nach ist es ganz normal, dass der US-Rap die Rapper in Kuba beeinflusst. In den USA ist die HipHop-Bewegung sehr stark, in Kuba hingegen steht sie gerade erst am Anfang.
Yotuel: Natürlich ist der Rap in den USA groß geworden. Aber lass es mich so ausdrücken: Es ist die afrikanische Kultur, in der diese ganze Tradition der mündlichen Überlieferung und des gereimten Sprechens verwurzelt ist. Die Afroamerikaner arbeiten damit auf ihre Weise, und wir eben auf unsere.
Es finden sich immer mehr Gruppen zusammen, denen es wie uns darum geht, die kubanische Musik mit aktuellen Elementen wie Ragga, R & B und HipHop zu verbinden. Das ist das Neue: die eigenen musikalischen Wurzeln mit Musikrichtungen zu fusionieren, die man heute in der Welt hört.
Wie unterscheiden sich eure Themen von denen US-amerikanischer Rapper?
Yotuel: Wir sprechen einfach nur über unsere Realität. In den USA erleben die Rapper die Unterdrückung durch das kapitalistische System und den Rassismus. In Kuba sprechen wir davon, wie jeder von uns Tag für Tag irgendwie versucht, an Dollars zu kommen. Wir kritisieren nicht die Regierung – wir sprechen einfach davon, was abgeht.
Und das sind keine Schießereien oder Bandenkriege . . .
Yotuel: Nein, so etwas passiert in Kuba nicht!
Roldàn: In den USA haben sie doch nur irgendwelche Gewaltvideos im Kopf, wenn sie ihre Texte schreiben.
Yotuel: Ja, mir gefällt dieses Gangsta-Gehabe auch nicht: Pistolen, Nutten, „Bitches“ und so – ich finde das zum Kotzen. Wir halten uns an Public Enemy und Run DMC: Das sind radikale Sachen, die eine Message haben – Musik, die dazu beiträgt, dass etwas anders wird. Wenn du im Dreck lebst, musst du sehen, das du hinauskommst, und nicht noch mehr Dreck aufladen. Gangsta-Rap bedeutet, den Dreckhaufen, in dem die Leute leben, noch größer zu machen. Für mich ist das kein Rap.
Russo: Drogen, Pistolen und Banküberfälle . . . das hat mit uns nichts zu tun. In Kuba kannst du gar keine Bank überfallen! Womit auch? Mit einem Steinwurf? Es gibt keine Pistolen, und außerdem: Wenn du eine Bank überfällst, kannst du dir die Pesos danach sonstwohin stecken!
Was fehlt dem Rap aus Kuba noch zum internationalen Durchbruch?
Russo: Wir hatten das Glück, in Europa von einer Plattenfirma unter Vertrag genommen zu werden. In Kuba gibt es keine Rap-Produzenten, es gibt keine Studios mit der nötigen technischen Ausrüstung, und wenn es welche gibt, sind sie in Dollar zu bezahlen und sehr teuer. Es gibt niemanden, der DJs fördert, es gibt keine Sampling-Kultur – es fehlen einfach die Mittel, um Rap-Musik zu machen.
Yotuel: Als wir noch in Kuba waren, hat keiner auf uns setzen wollen. Jetzt sind andere Produzenten sauer und sagen: „Warum habt ihr uns nicht gefragt?“ Das Problem ist: Jeder möchte etwas abkriegen, wenn einer Erfolg hat, aber kaum jemand ist bereit, einen nach oben zu bringen.
Wenn wir jetzt den Rap Cubano in der Welt bekannt machen, werden eine Menge Produzenten nach Kuba kommen und versuchen, möglichst billig Talente einzukaufen, um ähnliche Sachen zu machen. Eben das wollen wir verhindern. Wir wollen auf Kuba ein Label gründen, das dort Musiker unter Vertrag nehmen wird, die HipHop, Ragga oder R & B machen, um sie entsprechend zu fördern.
Wir sind jetzt seit zwei Jahren nicht mehr auf Kuba gewesen, und die Codes dort haben sich sicher verändert. Wir wünschen uns aber nichts mehr, als dort ein Benefizkonzert für die Jugend zu geben und einen Beitrag zu leisten, damit sich die Szene in Kuba weiterentwickelt.
INTERVIEW: ANJA SCHRADE
Zitat:HIPHOP AUF KUBA „In Kuba gibt es keine Rap-Produzenten. Wir hatten Glück, nach Europa zu kommen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen