: Ich bin ein Berliner
Sean kommt aus Irland, Tanja aus St. Petersburg. 330.000 Europäer leben in Berlin. Eine Ausstellung zeigt, welche Erwartungen manche von ihnen hatten und welche Erfahrungen sie gemacht haben
Alicja Norenberg Lycon: „Wir waren wie eine Familie. Jeden Morgen trafen wir uns und besprachen den Dienstplan. (. . .) Auch die alten Menschen, die ich gepflegt habe, waren sehr offen und freundlich zu mir. Niemanden hat es gestört, dass ich aus Polen komme. Nur einmal hat eine alte Frau bemerkt, dass ich so polnisch angezogen sei. Mir war das nie aufgefallen, aber die Frau hatte recht. Polinnen sind viel bunter gekleidet als deutsche Frauen. Dann arbeitete auch noch ein Schwarzer bei uns, der aber auch in Ostdeutschland aufgewachsen war. Ich war sehr erstaunt, dass die alten Menschen auch ihm gegenüber tolerant waren und ihm völlig vertrauten. Ich glaube nicht, dass in westdeutschen Kleinstädten eine solche Toleranz vorhanden wäre.“
Alicja Norenberg-Lycon (41) lebt mit ihrem Lebensgefährten Slawek Giecold seit zwei Jahren in Prenzlauer Berg und arbeitet als Altenpflegerin. Zuvor haben sie im hessischen Hundstadt gelebt. Zur polnischen Community haben sie keinen Kontakt, fahren aber, sooft es geht, in ihre Heimat am Rande des Riesengebirges.
Ferit: „Berlin lebt durch die ‚bunte‘ Vielfalt der Menschen. Sie sind leicht mürrisch, haben ihren Kiez, lieben warme Tage, Feste. Berlin kann man ‚als Fremder‘ entweder lieben oder hassen. Wer bleibt, ist eine Bereicherung für die Stadt. Wer geht, ist ein Verlust.“
Ferit (30) studiert Biologie und ist im Südosten der Türkei geboren. 1981 kam er nach Spandau. Nach seinem Studium will er als Entwicklungshelfer nach Afrika.
Michaela Schneeberger: „Viele, die ich hier kenne, kommen von woanders her, auch viele Deutsche. Dadurch können sich Freundschaften ganz anders entwickeln. In Frankreich z. B. ziehen viele niemals von ihrem Geburtsort weg. (. . .) Wenn ich in Frankreich bin, fällt es mir immer richtig auf, dass ich anders bin als sie. Umgekehrt können es die Deutschen oft nicht fassen, dass ich freiwillig nach Berlin gekommen bin. Dabei finde ich einfach genaus das, was mir gefällt. Sogar ein bisschen französisches Flair, wenn ich mir nur die enge Kleine Hamburger Straße anschaue oder auch das frühere jüdische Viertel. Es bezaubert mich immer wieder.“
Michaela Schneeberger kommt aus Nancy in Lothringen und lebt in Berlin als Malerin.
Jesus Laurido Pose: „Berlin ist mir fremd geworden. Wahrscheinlich ist das so, weil sich die Leute auch gewandelt haben. Selbst die Leute in dem Verein, wo ich Fußball spiele, haben sich mit den Jahren etwas distanziert. Nicht von mir direkt. Damals gab es Freundlichkeit gegenüber anderen Menschen, Ausländern zum Beispiel. Da war es etwas offener. (. . .) Ich sagte ja schon, ein Grund dafür ist die Arbeitslosigkeit.“
Jesus Laurido Pose (56) ist in Madrid geboren und kam 1963 mit einem deutsch-spanischen Arbeitsvertrag nach Westberlin. Er hat den FC Hispania mitbegründet und ist im Vorstand des Spanischen Elternvereins.
Inna: „Meine Eltern haben mich vom Flughafen abgeholt, dann sind wir sehr lange vom Flughafen Schönefeld nach Spandau gefahren. Also, es war in der Nacht, und ich konnte kaum Berlin sehen. Nur in der S-Bahn diese Graffitis. Und dann habe ich die Wohnung gesehen. Ich habe mir auch das Haus irgendwie anders vorgestellt, eher wie in der Ukraine, mit Stall und so. Und ich fand also einen Neubau, 18-stöckig (. . .) und die kleine Wohnung von den Eltern. Meine Eltern haben erzählt, dass sie noch sehr lange auf Matratzen geschlafen haben. Und das war auch schon ziemlich ärmlich, obwohl sie mir ab und zu Geld geschickt haben.“
Innas Vater ist Deutscher, ihre Mutter russische Jüdin. Mit ihrer Familie emigrierte sie als 15-Jährige aus der ehemaligen Sowjetunion nach Israel. Später folgt sie ihren Eltern nach Deutschland, gerade noch rechtzeitig, um als Kind deutschstämmiger Eltern anerkannt zu werden.
Sean Hannon: „Ich habe eine Zeit in Frankfurt gelebt. Die Stadt ist sehr aggressiv. Ich mag sie überhaupt nicht. Dann ging ich nach Berlin. Kurz nach meiner Ankunft stieß ich im Bus mal auf eine ganze Gruppe lustiger, singender Rentner. Sie waren alle ziemlich angetrunken (. . .) Sie fragten mich, ob ich mit ihnen was trinken gehen würde. Das war wirklich erstaunlich. So etwas würde in Frankfurt nicht passieren. Die meisten Leute der älteren Generation sind alle ziemlich langweilig, und diese hier wollten mich gar nicht mehr gehen lassen und riefen: Das ist Berlin. (. . .) Sie waren alle so fröhlich und freundlich. Und das alles, obwohl sie die meiste Zeit deutsch sprachen, und ich kein Wort verstand. Das ist einer der ersten Eindrücke von Berlin.“
Sean Hannon lebt seit 15 Jahren in Berlin. Er kam von einem Dorf an der irischen Westküste zunächst nach London und dann nach Westberlin. Heute arbeitet er als Gärtner in Britz.
Hans Christian H.: „Ich hab Probleme, mit dem Veränderungstempo in Berlin klarzukommen, aber das haben, glaube ich alle alten Westberliner, die Ostberliner erst recht, das ist nichts ‚Ossi‘-Spezifisches, glaub ich nicht, also die alte West-Erfahrung, jedes Mal, wenn ich über die ehemalige Sektorengrenze mit der S-Bahn rolle, denke ich daran, dass man jetzt die zwei Meter Mauerreste gar nicht mehr sieht, weil sie total verbaut sind.“
Hans Christian H. ist Däne, 54 Jahre alt und lebt seit 30 Jahren in Berlin. Er war lange Zeit Dänisch-Lektor am Nordeuropa-Institut der Humboldt-Universität.
Tanja: „Berlin kann auch langsam meine Heimat werden, weil ich die Stadt immer besser kenne und sie mir mittlerweile vertraut ist. Ich bin mit 21 hierher gekommen und habe jetzt nach acht Jahren hier auch meine Erinnerungen. Das ist alles wichtig für ein Heimatgefühl. Fehlt nur noch ein Job. Ich habe viele deutsche und russische Freunde und auch noch andere. Wenn ich keine Freunde hätte, könnte ich es hier nicht aushalten. Könnte ich aber wahrscheinlich nirgendwo. Auch in Leningrad nicht.“
Tanja kommt aus St. Petersburg und emigrierte 1990 nach Israel. Nach Beginn des Golfkrieges verließ sie mit ihrem Mann das Land. Eigentlich wollte sie nach Amerika. Sie engagierte sich lange im „Klub Dialog“ und arbeitet heute in einem russischen Jugendclub.
Eine Zusammenstellung von UWE RADA
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