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Die Diva im Flugzeughangar

■ Jazzig eröffnete Jessye Norman das Bremer Musikfest mit „The Sacred Ellington“ auf der ASL-Werft in Lemwerder

Wenn der Jazz die klassische Musik Nordamerikas ist, dann ist Duke Ellington ihr Mozart! Sehr offen und ausufernd in seinen Stilformen, komplex, aber nie grüblerisch, ein Vielschreiber und mit Herzenswärme spielender Musiker. Und weil sein großes Talent im Komponieren und Arrangieren lag, kann man seine Musik ohne allzu viele Übertragungsverluste nachspielen und neuinterpretieren. Kein Wunder also, dass sich die afroamerikanische Diva Jessye Norman für ihr Projekt, das die Qualitäten der großen Oper, des Liederabends und des Jazzkonzerts vereinigen soll, ein großes Werk des großen „Sir Duke“ aussuchte. Dieser hatte zwischen 1965 und 1973 drei „Sacred Concerts“ geschrieben: geistliche Konzerte, in denen Jazz, Tanz, Gospel und klassische Gesangskunst zu Gesamtkunstwerken verschmolzen wurden.

Aus diesen drei Konzerten hat sich die Sängerin nun über zwanzig Einzelkompositionen ausgesucht. Wohl auch mit einem Blick darauf, wo ihr Talent am schönsten zum Schillern kommt, aber insgesamt fiel auf, dass die Sängerin sich dem Konzept durchaus willig unterordnete, und bei vielen Songs einfach nur ruhig auf der Bühne saß, während etwa die Bigband improvisierte, der Gospelchor jubilierte oder die Tänzerin über die Bühne hüpfte. Jawohl, da war ordentlich was los auf der Bühne: eine hochkarätige Bigband, das „Glinka String Quartet“, der „London Adventist Gospel Choir“ und die Solotänzerin Margie Gillis interpretierten zusammen mit der Sängerin die Stücke Ellingtons in immer neuen Instrumentierungen und Zusammensetzungen. Der große Aufwand war nötig, denn nur so konnten die wunderbaren Arrangements Ellingtons voll zu Geltung kommen. Da gab es ein Duo Schlagzeug/Gospelchor, oder das Streichquartett übernahm eine Melodie von der Sängerin, oder ein stilles, sehr intensives Saxophonsolo mündete in einem Bigband-Crescendo.

Jessye Norman dominierte natürlich mit ihrer machtvoll schönen Stimme , ihrer schweren, körperlichen Präsenz und ihrer in jeder Sekunde spürbaren Aura. Sie sang ihre Parts makellos, mit klassischer Reinheit, und wenn sie tatsächlich ein paar Takte lang über einer Melodie improvisierte, dann waren dies eher Koloraturen als Scatgesänge. Dabei wirkte sie mit jedem Ton und jeder Geste extrem künstlich: Alles an ihr war große Oper, und dies wurde um so deutlicher, weil die Jazzmusiker und GospelsängerInnen sich (den Konventionen ihrer Künste folgend) so natürlich und authentisch wie möglich gaben. Mit Jessye Norman und dem Schlagzeuger Gardy Tate begegneten sich so Welten: Sie gab die hochartifiziellen großen Gesten und er spielte ruhig, scheinbar ohne sich groß anzustrengen, dafür aber mit einer traumhaften Sicherheit sein Instrument.

Er wirkte wie Ellingtons Geist bei diesem Konzert, denn so routiniert, selbstsicher und unaufgeregt spielte und wirkte auch eine Original-Ellington-Band. Interessanterweise bekamen die Jazzsolisten wie der Tropeter Mike Lovatt oder der Saxophonist Bill Easley stürmischeren und spontaneren Applaus als Jessye Norman. Dies hängt sicher auch mit der unterschiedlichen Dynamik der Musiken zusammen: Während die Sängerin immer gleichbleibend brillant und rein sang, gab es in den Improvisationen Steigerungen, plötzliche musikalische Gedankenblitze und Überraschungen, auf die das Publikum sehr dankbar reagierte.

Das Projekt „The Sacred Ellington“ wäre perfekt umgesetzt worden, wenn es nicht zwei Fehlbesetzungen gegeben hätte: Zum einen saß mit Mark Markham leider der Pianist auf der Bühne, der seit fünf Jahren Jessye Norman bei ihren Liederabenden begleitet, und gerade was ihn für diese Tätigkeit auszeichen mag, war hier ein großes Manko: Er war offensichtlich zu sehr gezähmt. Er spielte alles richtig, sein Ton war blitzsauber und deswegen bei Ellington völlig fehl am Platze. Da hätte ein Pianist sitzen müssen, der schwarz und mit Feuer spielen kann, ein ähnlich guter Improvisator wie der Bassist Ira Coleman etwa. Immerhin saß er auf dem Platz von Ellington himself, der sein Orchester ja auch vom Piano aus dirigierte. Noch schlimmer war der Ausdruckstanz von Margie Gillis, ein antiquiertes und prätentiöses Bemühen, der Musik mit wedelnden Armen und komplizierten Sprüngen beizukommen. Ellington selber hatte zu seinen „Sacred Concerts“ schwarze Tänzer auftreten lassen, die sich ganz sicher nicht so unsinnlich und bemüht bewegten.

Und was ist nun mit der riesigen Halle, in der sonst Flugzeuge repariert werden? Natürlich war die Akus-tik schlecht, man hörte in den leisen Passagen die Lüftungsanlage brummen, manchmal sirrte auch irgendeine Maschine laut und der Ton war so ausgesteuert, dass oft der Chor die mächtige Stimme von Frau Norman schlicht übertönte. Aber das Ganze war ja auch kein Konzert, sondern ein Event, da zählen andere Qualitäten als ein perfekter Ton, und wenn man sich darauf einließ, gab es einige schöne surrealistische Eindrücke.

Direkt neben der Bühne ruhte etwa ein gigantischer Flugzeugschwanzflügel, und zum Beginn des Konzerts öffnete sich kein Vorhang, sondern die riesige Schiebetür des Hangars (wohl die größte Tür in der Umgebung) schloss sich langsam hinter den 4500 ZuhörerInnen. Und die Ironie, die darin liegt, dass ein geistliches Konzert in einer Flugzeughalle gespielt wird, hätte Duke Ellington sicher auch sehr amüsiert.

Wilfried Hippen

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