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Grün ist die Wiese, blond der Verrat . . .

. . . und kunstvoll die Kunst: Mirella Weingarten zeigt ihre Choreografie „eigenreigen“ im Theater am Halleschen Ufer

Kein Zweifel, dies ist Märchenland. Grün, grün die Wiese und mittendrin ein kleines Mädchen in Rosa. Sagt ein Gedicht auf und geht. Eine andere, die schon groß ist und Tanz studiert hat, sticht mit blonden Zöpfen in die Luft und heißt mal Gretchen (ein schönes Mädchen), Ilsebill (die weiß, was sie will) oder Käthe (die das Leben verschmähte).

Märchen aber müssen – das wissen wir, weil wir schließlich auch philosophisch gebildet sind und uns auskennen in der Welt der Kunst – demontiert werden. Also stapft zwischen all den Tänzerinnen, Sängerinnen und Schauspielerinnen, die in meerjungfraugrün rauschenden Röcken Einsamkeit beklagen und Sehnsucht kundtun, ein blonder Bursche, moosfarben behost, und übt Verrat, Verrat, Verrat.

Vor dem kunstgewerblichen Kitsch ist halt weder die Romantik noch der Feminismus gefeit. Schon die Wortakrobatik des Titels „eigenreigen. eine entfremdung“ verheißt das ambitionierte Kunstwollen der Gruppe um die junge Regisseurin Mirella Weingarten. Zwei Cellistinnen und die Mezzosopranistin Márta Rósza bauen nach Kompositionen von Oliver Korte einen fragilen akustischen Rahmen um die statuarischen Bilder, der allen Ansprüchen von „Jugend musiziert“ genügt und doch sehr gespreizt wirkt.

Die Zerlegung des Sprachmaterials wird zelebriert und mit Bewegungen akzentuiert. Das macht man so heute im Tanztheater, gewiss, aber die Choreografie wirkt wie von außen zusammengestoppelt statt aus dem Körper entwickelt: In dem schönen Bühnenbild mit echtem Rasenhügel können die meisten nicht einmal normal gehen, sondern bloß angestrengt staksen.

Ein Verriss von Erstlingswerken ist gemein und wäre überflüssig, wäre die Gruppe nicht mit Vorschusslorbeeren bedacht worden. Die Biografien der jungen Künstler glänzen mit international renommierten Ausbildungsstätten und Mitarbeit in Projekten prominenter Künstler. Das scheint die Jury, die den Berliner Senat bei der Förderung berät und Projektmittel für Mirella Weingartens Tanztheater bewilligte, beeindruckt zu haben, zumal Berlin selbst kaum Schulen von solchem Ruf hat. Von Kunst haben die meisten Beteiligten sicher auch mächtig Ahnung. Vom Leben dagegen scheinen sie noch nicht allzu viel mitbekommen zu haben. Kann ja noch werden.

KATRIN BETTINA MÜLLER

„eigenreigen. eine entfremdung“, 5. bis 6. September, 21 Uhr, Theater am Halleschen Ufer

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