press-schlag: Der deutsche Fußball entdeckt die Moderne
Drei Mann in einer Kette
Die Erklärung, warum die deutsche Mannschaft gegen Griechenland im Mittelfeld zumeist dominieren konnte, was in den vergangenen Jahren sehr selten der Fall war, ist simpel: Sie spielte wieder vollzählig. Zuvor hatte sie spätestens seit dem Abgang von Matthias Sammer nach der Europameisterschaft 1996 freiwillig auf einen Mann verzichtet. Während die moderneren Formationen anderer Teams den Libero abschafften und dafür einen Spieler mehr im Mittelfeld hatten, beharrten die Bundestrainer Vogts und Ribbeck auf dem freien Mann, meist hinter der Abwehr, den seit 1998 wieder Lothar Matthäus verkörpern durfte.
Das führte zu zahlenmäßiger Unterlegenheit dort, wo das Spiel stattfand, im Zentrum nämlich, während Matthäus – im DFB-Team nicht, wie bei den Bayern, in ein funktionierendes taktisches Konzept eingebunden – hinten weitgehend nutzlos herumirrte. Er tat Dinge, die genauso gut jemand anders hätte erledigen können, bolzte die Bälle weit nach vorn und war mangels Abstimmung und Geschwindigkeit oft nicht an der richtigen Stelle, wenn es darauf ankam. Bestes Beispiel waren die EM-Spiele sowie die Partie gegen die Niederlande, wo der arme Zoltan Sebescen oft allein gegen mehrere Gegner stand, während sein Libero weder Unterstützung auf dem Flügel leistete noch in der Mitte die vielfältigen Brände löschen konnte.
Bei Rudi Völler ist das jetzt alles anders. Endlich spielt auch das DFB-Team mit einer Dreierkette, deren Chef Jens Nowotny von Bayer Leverkusen ist. Gegen Griechenland funktionierte das System nur bedingt. Vor allem am Ende wurde die Kette mehrfach durch Pässe in den Rücken der Abwehr ausgehebelt, und Nowotny selbst erklärte, dass er mit seiner Leistung „überhaupt nicht zufrieden“ sei. Zum einen unterlief ihm kurz vor Schluss eine Unachtsamkeit, die Lymperopoulos plötzlich allein auf Torwart Kahn zustürmen ließ, zum anderen übersah er bei einem seiner Vorstöße den völlig frei stehenden Scholl. Rudi Völler nahm seinen Abwehrchef jedoch in Schutz. Wenn jemand 85 Minuten lang gut gespielt, aber kurz vor Ende einen Fehler gemacht habe, bleibe der in Erinnerung. Das sei ungerecht. Nowotny habe insgesamt hervorragend gespielt.
Erleichtert wird das Spiel mit der Kette dadurch, dass sie langsam auch in der Bundesliga in Mode kommt. Bei seinen Leverkusenern, erläuterte Jens Nowotny, werde sie schon seit längerem praktiziert, Thomas Linke kenne sie von den Bayern, die das System nach dem Abgang von Lothar Matthäus zunehmend anwendeten, Marko Rehmer habe bei Hertha schon diese Position bekleidet und Heinrich in Florenz sowieso. Lieber wäre es dem 26-Jährigen allerdings gewesen, wenn die Griechen mit drei Stürmern gespielt hätten. In solch einem Fall könnte man hinten gegen den Mann spielen und jemand wie Ramelow im Mittelfeld die Pässe in die Spitze verhindern. So gab es „im Rückwärtsgang Abstimmungsschwierigkeiten, was die individuellen Fehler angeht“, wie Nowotny ein wenig summarisch urteilte.
Ob die Engländer dem Leverkusener am 7. Oktober den Gefallen mit den drei Spitzen tun, sei dahingestellt, sicher ist hingegen, dass die Kette wieder zur Anwendung kommen wird. „Ob sie in dieser Formation spielt“, so Rudi Völler, steht auf einem anderen Blatt.“ Das Problem ist die linke Seite, wo sowohl Jörg Heinrich, der schnell „in Gefahr schwebte, in jenem roten Nebel zu verschwinden, den er selbst hervorgerufen hatte“, wie der englische Sunday Telegraph über den knapp einer Gelb-Roten Karte entgangenen Dortmunder schrieb, als auch Thomas Linke nicht überzeugen konnten.
„Wir können mit dieser Formation ganz zufrieden sein“, urteilte dennoch Torhüter Oliver Kahn, der jetzt noch mehr als Libero gefordert ist, und Teamchef Völler betonte: „Grundsätzlich gehe ich nicht von dieser Schiene ab.“ Selbstverständlich berge die offensive Ausrichtung „ein hohes Risiko“, aber: „Wir wollen den Zuschauern etwas bieten.“ Daran halte er fest, „auch wenn es einmal in die Hose gehen sollte“. MATTI
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen