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lidokinoTakeshi Kitanos Yakuza-Parabel auf Pearl Harbour

Hommage an Yamamoto

Kino, das ist, wenn Takeshi Kitano mit Badelatschen und schwarzem Yamamoto-Anzug über den Lidostrand stapft, und in ehrfürchtiger Distanz folgt ihm ein japanisches Kamerateam. Als der Dreh vorbei ist, steht Takeshi noch einen Moment allein am Strand, raucht seine Zigarette zu Ende, zehn Meter weiter wartet der Leibwächter, wohl auch in Yamamoto. Eigentlich könnten jetzt noch ein paar Yakuza-Kollegen ins Bild treten, und mit ihm Fangen spielen. Oder Fallenbauen oder Huckepack oder Maskerade. So wie in seinem Film „Sonatine“ würden sich die abgebrühten Killer wieder für einen unbeschwerten Augenblick in ausgelassene Kinder verwandeln, die mit dem Spiel die Zeit anhalten.

Der Lido steht ihm jedenfalls. Die Zigarette ist aufgeraucht, und mit seinem unvergleichlich o-beinigen Gang bewegt sich Takeshi zielstrebig auf die Terrasse des Hotels „Excelsior“ zu. Für einen winzigen Moment ist man sich plötzlich nicht ganz sicher, ob er da nur ein paar Interviews geben oder gleich zehn Menschen in der Lobby niedermähen wird.

Sein neuer Film „Brother“ ist vielleicht der brutalste, den er je gedreht hat, eine wahre Phänomenologie des Tötens. Neben den klassischen Methoden werden jede Menge Fingerkuppen abgeschnitten, Bäuche aufgeschlitzt, Essstäbchen zweckentfremdet, Köpfe zerschossen, abgehackt und so weiter und so fort. Wie immer bricht die Gewalt exzessiv herein und hinterlässt diese seltsame Leere mit einem existenzialistischen Fragezeichen, das nie größer war als in diesem Film. Takeshi selbst spielt einen einsamen Gangster, den es von Tokyo nach Los Angeles verschlagen hat, wo er die örtliche Unterwelt aufmischt. Letztlich ist „Brother“ ein Kulturkampf – zwischen todesverachtend-jenseitiger Yakuza-Moral und den diesseitigen Drogendeals der afroamerikanischen Gangs beziehungsweise Latinoclans. Immer wieder sieht man Kitano teilnahmslos in der Ecke sitzen, Zenmeister des Todes und Fremdkörper im amerikanischen Ambiente.

Beim Interview im Hotelzimmer trägt er immer noch die Badelatschen zum Anzug, und auch hier wirkt er vor den bonbonfarbenen Stofftapeten des Excelsior wie ein monadenhafter Fremdling. Ein schüchterner Fels, der mit niedergeschlagenen Augen leise in sich hineinspricht. Manchmal bewegt sich seine rechte Gesichtshälfte unkontrolliert – das Zucken ist Folge eines schweren Motorradunfalls, in den Filmen wird es zum Zeichen eines bevorstehenden Gewaltausbruchs stilisiert . In der Ecke steht der Leibwächter, der Übersetzer wirkt wie ein Ministrant, und im Nebenraum flüstern mehrere junge Japaner in ihre Handys. Alles irgendwie sakral. Die Gangsterstory im Film, so Takeshi Kitano, sei eigentlich eine Wiederholung des japanischen Angriffs auf Pearl Harbour. „Da dachten wir auch, dass wir es den Amerikanern richtig gezeigt haben. Aber dann haben wir den Krieg verloren, so wie wir auch im Film schließlich an der Mafia scheitern. Deshalb tragen alle Yakuza in ,Brother‘ die Namen von japanischen Weltkriegsgenerälen. Aber das dürfte selbst zu Hause kaum jemandem auffallen.“ Auf die Frage nach der auffälligen Yamamotopräsenz ein Lächeln: „Yamamoto ist mein Freund, und ich finde, dass seine Kleider außerordentlich gut zu japanischen Ganstern passen. Yakuza haben nämlich keinen Geschmack, sie tragen meistens Gucci oder Versace, was absolut lächerlich aussieht.“ In „Brother“ gibt es denn auch eine Selbsttötung nach dem Harakiri-Ritual und eine eher formlose per Pistole, jedesmal geht es darum, die Loyalität zum Boss zu beweisen. Warum eigentlich sind solche Hierarchieverhältnisse in Japan stets von Opferbereitschaft geprägt? „Es ist eine kulturelle Praxis, die auf Jahrtausende alte Traditionen zurückgeht. Der Einzelne zählt wenig, nur das Ganze, die Idee oder der Boss.“ Würde sich sein Leibwächter eigentlich auch für ihn opfern? „Natürlich“, lacht Takeshi Kitano, „soll ich es ihnen vorführen?“ Vielleicht hätte ich es einfach mal drauf ankommen lassen sollen.

KATJA NICODEMUS

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