: Zuschlag für Gesinnungstäter
Gesetze allein sind kein ausreichendes Mittel der Abschreckung. Aber sie bringen Regierung und Polizei dazu, offensiv mit Rassismus umzugehen
von HEATHER GREENFIELD
In den USA schaudert es Juristen angesichts der Probleme, die Deutschland und Österreich zurzeit mit prügelnden Nazis und dem Rechtsextremismus haben. Sie wissen, was Rassenhass auslösen kann und dass er nicht einfach dadurch verschwindet, dass man ihn für ungesetzlich erklärt. Jedes Jahr werden in den USA zwischen 5.000 und 7.000 so genannte Hate Crimes registriert. Die Angreifer sind zumeist Jugendliche, 70 Prozent aller Hate Crimes werden von Menschen unter 19 Jahren begangen.
Nach einem seit 1994 geltenden Gesetz werden Übergriffe auf Menschen aufgrund ihrer Rasse, Nationalität oder Religion als besondere Straftat geahndet. Nun hat die Demokratische Partei schon 1997 einen Gesetzentwurf in den US-Kongress eingebracht, der das Strafmaß für solche Hassverbrechen noch einmal deutlich erhöhen würde und auch Angriffe auf Menschen wegen ihrer sexuellen Orientierung berücksichtigen soll. Dies geschieht bisher nur in einigen der insgesamt 42 Bundesstaaten, die Hate Crimes in ihre Rechtsprechung aufgenommen haben.
Rücksicht auf die Wähler
Die Unterstützung für das geplante Gesetz war zunächst groß, vor allem nach dem Mord an Matthew Shepard in Laramie, Wyoming; der 21-jährige Student, der am 11. Oktober 1998 übel zugerichtet an einen Baum festgebunden und zwei Tage lang seinem Schicksal überlassen worden war, wurde aus nur einem einzigen Grund umgebracht: Er war schwul. Doch inzwischen ist die Hoffnung der Demokraten gesunken, ihr Gesetz durchzubringen. Die Republikaner, die die Mehrheit im US-Kongress stellen, möchten nicht so kurz vor den Wahlen im November über eine Frage abstimmen, die sie in einem schlechten Licht erscheinen lassen könnte.
Denn während viele republikanische Politiker das Problem ernst nehmen, sehen sie sich Wählern gegenüber, die kein Verständnis für den besonderen Schutz von Homosexuellen haben. Bei einem Großteil des rechten, christlichen Flügels der Republikaner ist Homosexualität noch immer verpönt, in einigen Staaten sogar verboten. George W. Bush, Gouverneur des Staates Texas und Präsidentschaftskandidat der Republikaner, hat bereits erklärt, dass er keine Notwendigkeit für ein solches Gesetz sieht; schließlich gründe sich jedes Verbrechen auf Hass.
Im Fall des schwarzen Texaners James Byrd jr. trifft das zu. Weiße Bürger der Stadt Jasper ketteten ihn im Juni 1998 an die Ladefläche ihres Kleinlasters, schleiften ihn zu Tode und ließen den leblosen Körper im Wald zurück. Zwei der drei Angeklagten wurden zum Tode verurteilt.
Die Antidiskriminierungsrechtsprechung hat sich in den USA seit dem „Civil Rights Act“ von 1964 stetig verbessert. Die Verabschiedung dieses Gesetzes hatte Präsident Johnson nach dem Mord an drei Bürgerrechtlern in Mississippi vom US-Kongress verlangt. Die Untersuchung des berühmt gewordenen Falls trug den Codenamen „Mississippi Burning“, später Vorlage für einen Hollywood-Film.
Dennoch existiert Rassismus auch weiterhin, selten jedoch werden entsprechende Gedanken öffentlich geäußert. Die Bürger wissen, dass von ihnen die Achtung der Bürgerrechte aller erwartet wird. Im aller Regel achten Arbeitgeber auf eine ethnisch ausgewogene Belegschaft. Die Wohnungsgesellschaften stellen sicher, dass niemand wegen seiner Rasse oder seiner Volkszugehörigkeit Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche bekommt. Rassistische Sprüche am Arbeitsplatz haben meist die Kündigung zur Folge.
Tatsächlich ist es schwierig, abzuschätzen, ob die Hate-Crime-Gesetze die Zahl der Hassverbrechen reduziert haben. Erst seit 1990 werden Hate Crimes von den Bundesbehörden in der Statistik aufgeführt, und nur wenige Bundesstaaten oder Kommunen machen genaue Angaben. Doch weil immer mehr Bundesstaaten Hate Crimes melden, steigt auch ihre Zahl von Jahr zu Jahr. 1998 wurden dem FBI 7.755 Hate Crimes aus insgesamt 46 Bundesstaaten und Washington DC gemeldet. Die Statistik zeigt: 4.321 Straftaten waren rassistisch begründet und 754 ethnisch, 1.390 waren religiös motiviert, 1.260 hatten die sexuelle Orientierung zum Anlass, und in 25 Fällen waren die Opfer behindert.
Selbst die wohl bekannteste Bürgerrechtsvereinigung in den USA, das Southern Poverty Law Center (SPLC), muss zugeben, dass Hate-Crime-Gesetze nicht zu einer Verminderung von Straftaten geführt haben. „Wenn du planst, jemanden umzubringen, weil er schwarz ist, überlegst du dir nicht, ob du für die Tat 30 oder 35 Jahre ins Gefängnis kommst“, sagt SPLC-Sprecher Mark Potok. Dennoch, meint er, sei ein gesondertes Strafmaß der richtige Weg, öffentlich deutlich zu machen, dass die Gesellschaft diese Art von Verbrechen für besonders schändlich hält und nicht bereit ist, sie zu dulden oder zu ignorieren.
Die Einstellung bleibt
Daryl Borquist, im US-Justizministerium für ein Aufklärungsprogramm über Hate Crimes zuständig, gibt zwar zu, dass „ein Gesetz nicht die Einstellung der Menschen ändert“. Trotzdem sieht er in den seit 1964 verabschiedeten Bürgerrechtsgesetzen eine große Hilfe, um Diskriminierung zu bekämpfen.
Doug Calvin, Geschäftsführer des Youth Leadership Networks und Gründer der Organisation Studenten gegen Rassismus, meint ebenfalls, dass Gesetze allein kein ausreichendes Abschreckungsmittel sind. Er sieht einen anderen Vorteil in den Hate-Crime-Gesetzen: Sie bringen Regierung, Polizei und Militär dazu, offensiv mit Rassismus umzugehen. Gerade die Regierung müsse einen Dialog über Rassimus zwischen Opfern und antirassistischen Initiativen in Gang setzen, meint Clavin. Wichtig wäre aber, dass sich die Regierung darum bemüht, in den Schulen Toleranz zu lehren. Wenn Schüler mehr Verständnis für andere Regionen und deren Menschen entwickelten und über ihren eigenen Platz in der Welt lernten, wäre es nicht mehr so einfach, Mitbürger wegen ihrer Rasse, Religion oder sexuellen Orientierung zu Sündenböcken abzustempeln.
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