die stimme der kritik
: Betr.: Zeichen setzen und Zeichen lesen

Haare wachsen gegen rechts

Endlich packt die Polizei das Übel an der Haarwurzel. Wer wirkungsvoll gegen den braunen Terror vorgehen will, das hat die Ordnungsmacht in Bochum jetzt erkannt, der muss auf den Köpfen beginnen. Auf Vollglatzen, so der örtliche Polizeipräsident, sollten die Beamten künftig verzichten.

Das ist eine Wende um 180 Grad. Bis vor kurzem galten bei der Polizei nicht Haarwuchsmittel, sondern Schere und Rasierer als standesgemäßes Handwerkszeug. Nach achtjährigem Rechtsstreit gestand das Bundesverwaltungsgericht erst im Januar vorigen Jahres der Frisur eines Münchner Beamten das Recht zu, die „Kragenlinie der Dienstuniform“ zu überschreiten.

Was aber tun jetzt die armen Ordnungshüter, bei denen partout nicht wachsen will, was neuerdings zum demokratisch korrekten Polizeibeamten gehört? Auch diesen Fall hat der Polizeipräsident bedacht: Nur „als Modefrisuren“ sind Glatzen unerwünscht. Den Untergebenen, bei denen der Haarwuchs auf natürliche Weise ausbleibt, gewährt er also Minderheitenschutz.

Übersehen hat der Vorgesetzte hingegen das Problem der Halbglatze. Denn der häufigste Grund für den Griff zum Rasierapparat ist nicht rechte Gesinnung – sondern der Versuch, fortschreitenden Haarausfall mit modischer Entschlussfreude zu kaschieren. Was jetzt droht, ist eine Renaissance jener höchst unästhetischen Versuche, mittels Kamm und Haarspray das spärliche Resthaar auf den kahlen Stellen zu drapieren.

Den armen Bürgern hilft der Ukas aus Bochum auch nicht weiter. Sie wüssten gerne, woran sie einen Rechtsradikalen im Alltag erkennen – und da kann ihnen auch die Polizei keine Antwort geben. Schließlich ist die Glatze im letzten Jahrzehnt auch in politisch unverdächtigen Kreisen zur „Modefrisur“ avanciert. Der Blick auf die Garderobe kann das Problem ebenfalls nicht lösen – gelten doch Bomberjacke und schwere Stiefel auch in schwulen Kreisen längst als Ausweis wahrer Männlichkeit.

An der nackten Kopfhaut alleine wird der verängstigte Passant nicht ablesen können, welcher Geist sich darunter verbirgt – und wann es folglich ratsam ist, flugs die Straßenseite zu wechseln. Da muss man schon subtilere Zeichen zu deuten wissen, mit denen „die Welt zu uns spricht wie ein großes Buch“ (Umberto Eco). Auch wenn die Polizei es gerne übersichtlicher hätte.

RALPH BOLLMANN