: Liberales Lebensmittel Nummer 1
Nach Ansicht einer Expertenkonferenz der SPD-Bundestagsfraktion kommt die Liberalisierung der Wasserwirtschaft in Fahrt. Die Grünen wollen Gebietsschutz der Wasserversorger und verursachergerechte Kostenumlage der Grundwasserbelastung
von NICK REIMER
Einst zähmte er die Oderfluten, jetzt hat er den Hahn ganz zu gedreht – Potsdams Oberbürgermeister Matthias Platzeck bleibt ein Wasserheld. Vor drei Jahren war der deutsch-französische Konzern Eurawasser mit den dollsten Versprechungen in die Potsdamer Wasserbetriebe eingestiegen: sinkende Preise, mehr Service, bessere Technik. Als Eurawasser im Juli erklärte, die Potsdamer Wasserpreise bis 2017 verdoppeln zu wollen, kündigte Stadtchef Platzeck kurzerhand die Zusammenarbeit.
Potsdam steht für viele Kommunen: Selbst klamm in den Kassen, erhoffen sie sich potente Partner, um Leitungen, Brunnen, Klärsysteme zu unterhalten. Andererseits gibt es derzeit einen regelrechten Kampf um Beteiligungen, was die Kommunen satte Preise erzielen lässt. So halten Analysten die rund 3 Milliarden Mark, die Bieter für 49,9 Prozent der Berliner Wasserbetriebe zahlten, für überteuert.
Die Politik flankiert derlei Partnersuche: Nach der Liberalisierung von Post-, Telekom-, Gas- und Strommarkt soll nun die Wasserwirtschaft dem Markt geöffnet werden. Diesmal ist allerdings nicht die EU-Wettbewerbspolitik Auslöser. Eine gestern in Berlin einberufene Konferenz der SPD-Bundetagsfraktion kam zu dem Schluss, dass Deutschlands kleingliedrige Wasserwirtschaft durch Privatisierung und Wettbewerb international konkurrenzfähig gemacht werden muss. Die Konferenz lieferte allerdings kein Ergebnis, diente dem Brainstorming. Am Montag hatten die Grünen ihre Vorstellungen beraten. Sie wollen unter anderem den Gebietsschutz der Wasserversorger beibehalten, externe Kosten der Grundwasserbelastung durch Nitrat und Pestizit verursachergerecht umlegen, exportorientierte Zusammenschlüsse von Stadtwerken bis zu Consultingfirmen fördern.
„Der entscheidende Vorteil der Liberalisierung besteht darin, dass Wettbewerb die Markteffizienz und den Druck auf die Preise erhöht“, erklärt Eric Heymann von der Deutschen Bank Research (DBR). Die DBR sieht fünf Formen, in denen sich der Wettbewerb organisieren könnte. Die einfachste ist die höchst umstrittene Durchleitung durch Fremdnetze. Um Qualitätshaftung durchsetzen zu können ist bislang der Netzzugang für Dritte nicht möglich. Ein paralleler Leitungsbau könnte wegen der extremhohen Kosten allenfalls langfristig und nur in Ballungszentren zum Tragen kommen. Für wahrscheinlicher hält die DBR, dass es zum Wettbewerb durch Ausschreibung von Versorgungsgebieten kommt: Kommunen überlassen dem Privaten das Wassergeschäft, der am billigsten und besten die Rahmenbedingungen erfüllt. Denkbar ist auch die Einschaltung von Zwischenhändlern oder das so genannte Benchmarking – also der unabhängige Vergleich von Konkurrenten. In England werden etwa alle Kenndaten – Qualität, Kundenzufriedenheit, Preise, etc. zu einer Effizienz-Matrix zusammengefasst, die dann den Verbrauchern ein Ranking – und damit ein wirtschaftliches Druckmittel – offeriert.
„Es gibt weder einen ökologischen noch ökonomischen Grund, die hervorragende Wasserversorgung, zu 90 Prozent im kommunalen Besitz, zu zerschlagen“, warnt BUND-Experte Sebastian Schönauer. Auch die DBR hält Befürchtungen, dass die Wasserqualität unter dem Strukturwandel litte, für nicht unberechtigt. Zudem werde die Zahl der Wasserversorger von jetzt 6.600 auf rund 100 schmelzen. Eine Novellierung ist in dieser Wahlperiode allerdings unwahrscheinlich. Experte Heymann: „Das Bundeswirtschaftsministerium prüft erst einmal gutachterlich die Auswirkungen.“
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